BLUTDRUCK UND KOPFSCHMERZ, TEIL 1: GIBT ES EINE VERBINDUNG?
Die Frage, in welchem Zusammenhang Kopfschmerz und erhöhter Blutdruck stehen, hat in der medizinischen Forschung eine lange Tradition. Bis heute sind die Resultate auf diesem Feld sehr widersprüchlich und geben weiterhin Anlass zur lebhaften fachlichen Diskussion. Vor allem dort, wo eine „Assoziierung“ von Kopfschmerz und Bluthochdruck angenommen wird, fehlt es oft an einer genauen Analyse der zugrundeliegenden Pathomechanismen. Wie so oft muss daran erinnert werden, dass man von einer Korrelation nicht auf eine zugrundeliegende Kausalität schließen kann: Das gemeinsame Auftreten von Hypertonie und Kopfschmerz muss nicht unbedingt einen ursächlichen Zusammenhang haben. Und falls dem doch so ist: Wie finden wir mit den uns heute zur Verfügung stehenden Methoden heraus, was Ursache und was Auswirkung ist? Dieser Artikel führt die wichtigsten Ergebnisse der gegenwärtigen Forschung auf und gibt einen Ausblick auf die spannendsten Fragen der künftigen Entwicklung auf dem Gebiet.
Komorbidität zwischen Kopfschmerz und Bluthochdruck: Was genau wissen wir?
Verschiedene Studien der neueren Forschung beschreiben eine Komorbidität zwischen Kopfschmerz und Bluthochdruck. Das heißt: Sie stellen fest, dass Kopfschmerz und Bluthochdruck bei Patient:innen gemeinsam auftreten. Je nach Studien-Design, Zusammensetzung oder Größe der untersuchten Betroffenengruppe und der jeweiligen Kopfschmerzart unterscheiden sich die Ergebnisse der zum Teil umfangreichen Studien. So kommen verschiedene Erhebungen zu unterschiedlichen Aussagen darüber, wie hoch z.B. der Prozentsatz derjenigen Patient:innen ist, die neben Kopfschmerzen auch an Bluthochdruck leiden, und umgekehrt.
Die Frage nach der Fragerichtung: Vom Bluthochdruck zum Kopfschmerz oder umgekehrt?
Richtet man den Blick auf die Migräne, dann sieht man, wie verschiedene Untersuchungen auf unterschiedliche Weise versuchen, die Komorbidität von Kopfschmerzbeschwerden und Bluthochdruck abzubilden. Für eine Studie aus Finnland etwa wurden Migränebetroffene über einen Zeitraum von fünf Jahren medizinisch begleitet, wobei verschiedene Gesundheitsparameter aufgezeichnet wurden. Man stellte nach diesem Zeitraum fest, dass die Migränebetroffenen ein signifikant höheres Risiko hatten, Bluthochdruck zu entwickeln als die Kontroll-Proband:innen. (Als Einschränkung der Aussagekraft muss hier allerdings angemerkt werden, dass die Migräne-Diagnose von den Teilnehmenden selbst angegeben und nicht anamnestisch geprüft wurde.)
In der finnischen Studie haben Forschende also danach gefragt, ob Menschen, die von Migräne betroffen sind, häufiger als die gesunde Bevölkerung an Bluthochdruck erkranken. Gewissermaßen andersherum machte es eine Untersuchung aus New York: Hier fand man unter den betrachteten 1.300 Studienteilnehmer:innen, die ein Durchschnittsalter von 68 Jahren hatten, einen Anteil von 76% mit Bluthochdruck. In dieser Gruppe wiederum ließ sich ein deutlich erhöhtes Auftreten von Migräne mit und ohne Aura feststellen. Besonders ausgeprägt war die Komorbidität, wenn der Bluthochdruck unbehandelt war oder über einen längeren Zeitraum bestand (> 9 Jahre).
Korrelation ≠ Kausalität
Anhand solcher Erhebungen erhält man Anhaltspunkte dafür, ob und in welchem Maß (bestimmte) Kopfschmerzerkrankungen bei den Betroffenen gemeinsam mit Bluthochdruck auftreten. In welchem genauen Zusammenhang aber die Kopfschmerzbeschwerden mit dem Bluthochdruck stehen – welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass beides gemeinsam auftritt und ob z.B. die eine Erkrankung für die andere kausal ist – lässt sich so nicht feststellen.
Gibt es eine Kausalität der Komorbidität?
Eine italienisch-französische Arbeit aus dem Jahr 2013 liefert einen Ansatz zu möglichen Mechanismen, wie es gerade bei Migränebetroffenen zur Entstehung von Bluthochdruck kommen kann und welche Faktoren dazu beitragen könnten. Berichtet wird, dass bei Migränepatient:innen häufig pathologische Veränderungen der Blutgefäße vorliegen. Demnach treten Verhärtungen/Versteifungen in den Gefäßwänden auf, die ihre Flexibilität beeinträchtigen. Dadurch werden wichtige Regulationsprozesse (z.B. die Verengung oder Erweiterung der Gefäße) erschwert, mit denen der Körper den Blutdruck einstellt und verändert (Stichwort: gestörte Homöostase). Zudem komme es zu einer Schädigung des Gefäßendothels (die Zellschicht, die die Gefäße innen auskleidet), was sich ebenfalls auf die Flexibilität und das Ansprechen auf regulierende Botenstoffe auswirken kann. Die Autorin berichtet, dass die Befunde auch im Bezug auf die großen Arterien im Körper recht einheitlich sind, wonach auch hier bei Migränebetroffenen Regulationsprozesse beeinträchtigt werden.
Die Hinweise verdichten sich: Gehirngefäße von Migränebetroffenen
Eine polnische Untersuchung von 2015 bestätigt die These von der Beeinträchtigung des Gefäßendothels bei Migränebetroffenen: Die Autor:innen finden funktionelle Beeinträchtigungen der Gehirngefäße und geschädigte Endothelien. Sie weisen darauf hin, dass bei Migräne auch das Risiko für Schlaganfälle erhöht ist. Zudem finde man – vermutlich als Folge der Gefäßschäden – minderdurchblutete Hirnareale mit sogenannten ischämischen Läsionen (Schäden, die durch Blut-/Sauerstoffminderversorgung verursacht werden). In dieser Arbeit wird auch darauf hingewiesen, dass es im Rahmen der „cortical spreading depression“ (die wellenartige Erregungsausbreitung bei einer Attacke) zu Veränderungen der Blut-Hirn-Schranke kommen kann. In der Folge können die betroffenen Areale unter einer Minderdurchblutung leiden, was die Beeinträchtigung durch die Migräneattacke zusätzlich verschlimmert.
Ob die beschriebenen pathologischen Veränderungen auf den Bereich des Kopfes beschränkt sind oder der ganze Körper (vor allem mit Blick auf die Blutgefäße) davon in Mitleidenschaft gezogen wird, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt.
Der nächste Teil unserer zweiteiligen Serie über Blutdruck und Kopfschmerzen erscheint im folgenden Monat. Dort werfen wir einen Blick auf den Zusammenhang von Bluthochdruck und veränderter Schmerzwahrnehmung, fragen nach seinem evolutionären Zweck und werfen einen Blick in die Zukunft der Forschung.
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