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Schlaf und Kopfschmerz

"Brain Wash": Alles über die nächtliche Gehirnreinigung

 

„Brain wash“: Wie nächtliche Gehirnreinigung Kopfschmerzen verhindert 

In unserem Körper laufen rund um die Uhr unzählige Prozesse ab. Die meisten setzen wir nicht bewusst in Gang, viele bemerken wir überhaupt nicht. Wir atmen ein und aus, den ganzen Tag, ohne dass wir uns dafür entscheiden würden, wir verdauen Essen und pumpen Blut durch unsere Adern. All dies ist Arbeit, die in unserem Organismus passiert. Bei vielen solcher Aufgaben fallen Abfallstoffe an oder es bilden sich Rückstände aus Stoffwechselvorgängen. Und damit dieses Beiwerk der lebenserhaltenden Prozesse nicht zu einer Belastung für das System wird, muss es abtransportiert werden.


Das lymphatische System: Hochleistung im Verborgenen

Diese Reinigung erledigt unser Lymphsystem, permanent und von uns unbemerkt. Es besteht aus einem Netzwerk feinwandiger Gefäße, die eine gelblich-weiße Zwischenzellflüssigkeit – die sogenannte „Lymphe“ – in das Venensystem transportieren, und zwar täglich bis zu zwei Liter davon. Mit der Lymphe werden abgestorbene Zellen, Eiweiß- und Fremdkörper, Bakterien, Fette und Stoffwechselendprodukte abgeleitet und schließlich ausgeschieden. Das lymphatische System durchzieht fast den ganzen Körper, interessanterweise endet es aber ausgerechnet außerhalb des Gehirns, an der Hirnhaut.


Wie reinigt sich unser Gehirn?

Dass das lymphatische System das Gehirn nicht umfasst, hat schon Generationen von Forschenden beschäftigt. Immer wieder stand die These im Raum, dass es gerade im Gehirn irgendeine Form von Entsorgungsmechanismus geben müsste. Denn das Gehirn ist ein Organ mit einer besonders hohen Stoffwechselaktivität, bei der viel Abfall entsteht, und die Nervenzellen sind gegenüber solchen Stoffen besonders empfindlich. Bis vor zehn Jahren hatte man keine Hinweise darauf, dass das Gehirn selbst ein dem Lymphsystem vergleichbares Reinigungssystem hat. Man ging davon aus, dass die Prozesse zur Entsorgung der Abfälle und Giftstoffe weitgehend von den Zellen selbst bewerkstelligt würden.

Diese Sicht änderte sich 2012 fundamental. Eine Forscher:innengruppe um die Dänin Maiken Nedergaard entdeckte einen physiologischen Mechanismus im Bereich der sogenannten „Gliazellen“ des Zentralnervensystems, den sie „glymphatisches System“ taufte (eine Wortneubildung aus „Glia“ und „lymphatisches System“). Sie waren die ersten Wissenschaftler:innen, die diese funktionelle Einheit beschrieben.


Eine aufsehenerregende Entdeckung: Das glymphatische System

Das Leitungsgeflecht dieses Systems gleicht dem eines „Rohr-in-Rohr“-Systems. Die innere Röhre bilden unsere arteriellen Blutgefäße, die das Gehirn durchziehen. Die äußere – auch „perivaskulärer Raum“ genannt, weil er sich wie eine zweite Haut um die Gefäße legt – wird von spezialisierten Nervenzellen, den sogenannten „Astrozyten“ und ihren Ausläufern gebildet. In diesem Raum, also dem äußeren Rohr, fließt ein Gemisch aus Hirnflüssigkeit („Zerebro-Spinalflüssigkeit“) und der Flüssigkeit zwischen den Zellen („Zwischenzell-Flüssigkeit“ oder „interstitielle Flüssigkeit“). Von dort tritt sie ins Hirngewebe über, wo sie gelöste wie ungelöste Stoffe mit sich nimmt. Angetrieben wird der Fluss durch die vom Pulsschlag ausgelösten Wellenbewegungen der Arterienwände. Nachdem die Flüssigkeit auf ihrer Wanderung die kapillaren Venen (die „Venolen“) erreicht hat, transportiert sie die Abfälle weiter zu den größeren Venen und entlässt ihre Fracht in die Lymphgefäße des Körpers. Damit vereinigt sich der Reinigungsfluss im Gehirn mit dem Lymphsystem des restlichen Körpers. Die Abfallstoffe werden schließlich über Leber und Nieren entsorgt.

Durch diese Entdeckung wird dem lymphatischen System des übrigen Körpers ein ähnlich effektiver Reinigungsapparat im Zentralnervensystem an die Seite gestellt, und seine Leistung ist auch quantitativ beachtlich: Neuesten Expert:innen-Schätzungen zufolge fallen pro Tag in unserem Gehirn etwa sieben Gramm Rückstande an –  das sind im Jahr zweieinhalb Kilogramm, fast die doppelte Masse des Gehirns selbst. In den meisten Fällen gelingt es der neuronalen Müllbeseitigung, die Entsorgung solcher Mengen effektiv und problemlos zu erledigen. Was passiert aber, wenn der Vorgang gestört ist, nicht wirksam genug oder zeitweise gar nicht arbeitet?

 

Nur nachts wird aufgeräumt

Die Entsorgung von gebildeten Abfallstoffen passiert im Körper nachts, tiefer Schlaf ist für das problemlose Funktionieren des Nervensystems unerlässlich. Schlechter Schlaf, so die aktuelle These der Forschung, könnte gleich für eine Vielzahl neurologischer Erkrankungen mitverantwortlich sein. Zwar lassen sich aus Erhebungen an Tieren nicht unmittelbar Erklärungen für den menschlichen Organismus ableiten, aber es ist in diesem Zusammenhang ein interessanter Befund, dass im Tierexperiment Schlafentzug zu einer stärkeren Anreicherung der schädlichen Eiweißpartikel führte.

 

Glymphatisches System und Kopfschmerzen

Schlaf und Kopfschmerz stehen in einem engen Zusammenhang. Laut Erhebung einer Arbeitsgruppe aus Madrid klagt etwa die Hälfte der Patient:innen mit Spannungskopfschmerz oder Migräne zugleich über starke Schlafstörungen, in der Forschung werden gemeinsame Entstehungsursachen von Kopfschmerz und Schlafproblemen diskutiert. Wie entscheidend gutes Schlafen für die Prävention sowohl von Spannungskopfschmerz als auch von Migräne ist, haben wir bereits in früheren Beiträgen beschrieben (zum Beispiel hier für den Spannungskopfschmerz, hier im Zusammenhang des circadianen Rhythmus des Menschen oder hier rund um die richtige Schlafdauer). Viele Kopfschmerzbetroffene bemerken die Wirkung einer schlechten Nacht ganz unmittelbar, häufig werden Kopfschmerzbeschwerden am Folgetag wahrgenommen.

Hierzu gibt es aufschlussreiche neue Erkenntnis. Im Vorfeld einer Attacke, besonders bei Migräne mit Aura, kommt es zur Ausbreitung einer Nerven-Erregungswelle im Gehirn der Patient:innen. Man hat festgestellt, dass es während dieses Zustands zu einem mehrminütigen Verschluss der perivaskulären Räume kommen kann. Das könnte dazu führen, dass die Bewegung der Hirnflüssigkeit, die für den Abfluss von Schadstoffen sorgen soll, zum Erliegen kommt. Toxische Stoffe werden dann nicht mehr abgeführt, und zwar für einen Zeitraum, der auf den ersten Blick nicht ewig aussehen mag, aber für empfindliche neuronale Systeme gefährlich lang ist. Die Folge sind Schäden an den Nervenzellen, was eine Migräneattacke nach sich ziehen kann.

 

Chronische Migräne und Medikamentenübergebrauch: das glymphatische System spielt eine Rolle

Eine aktuelle Studie von 2024 aus Taiwan hat sich aufwändiger bildgebender Verfahren bedient, um die Bedeutung des glymphatischen Systems für Migräne und Medikamentenübergebrauchskopfschmerz besser zu verstehen. Die Forschenden untersuchten die Strukturen und Funktionen des glymphatischen Systems und der ableitenden lymphatischen Gefäße im Bereich der Meningen, wo der glymphatische Reinigungsfluss ins Lymphsystem des Körpers mündet. So konnte bei Patient:innen mit chronischer Migräne tatsächlich eine verminderte Funktionalität des glymphatischen und meningealen lymphatischen Systems nachgewiesen werden. Bei chronischer Migräne war die Beeinträchtigung stärker als bei episodischer Migräne, am ausgeprägtesten war der Befund bei Betroffenen, die zusätzlich zu ihrer chronischen Migräne einen Medikamentenübergebrauchskopfschmerz entwickelt hatten. Das passt zu der Beobachtung, dass sich migräne-bedingten Auswirkungen auf die Gehirnreinigung mit zunehmender Häufigkeit der Attacken verstärken können.

Außerdem ließ sich feststellen, dass mit den Beeinträchtigungen noch weitere klinische Parameter korrelierten, so zum Beispiel die Intensität der Kopfschmerzen, der Grad der migränebedingten Behinderung und die Einschränkung der Schlafqualität. Was die medikamentöse Behandlung von Kopfschmerzen betrifft, fanden die Autor:innen Hinweise, dass sich ein hoher Gebrauch von Kopfschmerzmedikamenten negativ auf die Funktion der Gehirnreinigung auswirken kann.

 

Bewährte Schwerpunkte und neue Perspektiven in Prävention und Therapie

Aus diesen aktuellen Erkenntnissen ergeben sich wieder völlig neue Fragen. Man könnte etwa untersuchen, ob durch die Behandlung von Schlafstörungen das glymphatische System stabilisiert werden kann und sich dadurch zum Beispiel auch Kopfschmerzen verhindern lassen. Möglicherweise ergeben sich auch noch weitere therapeutische Ansätze, die sich grundsätzlich positiv auf die Hirnreinigung auswirken. Für das große Projekt der effektiven und nachhaltigen Kopfschmerzprävention stützt die Forschung rund um den faszinierenden Mechanismus der Gehirnreinigung die These, dass Betroffene dem regelmäßigen, erholsamen Schlaf eine zentrale Rolle in ihren vorbeugenden Bemühungen zukommen lassen sollten.

 

 

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