„Das macht echt Kopf-schmerzen!“ – Mentale Belastung & Corona
„Das macht echt Kopfschmerzen!“ - Mentale Belastung & Kopfschmerz in Corona-Zeiten
Selten war eine Redensart so zutreffend wie in der aktuellen Corona-Zeit. Viele leiden unter den Kontaktbeschränkungen, sind von Ängsten geplagt. Hinzu kommt bei den meisten Menschen die Ungewissheit darüber, wann sie ihr gewohntes Leben wieder zurückbekommen.
Studierende sind von den Auswirkungen des Lockdowns besonders stark betroffen. Fachrichtungen, in denen praktische Aspekte im Zentrum stehen wie etwa im Gesundheitssektor, oder solche, die einen unmittelbar persönlichen Umgang miteinander erfordern, was in humanwissenschaftlichen und pädagogischen Fächern der Fall ist, stehen vor großen Herausforderungen. In den Naturwissenschaften fallen reihenweise Exkursionen und praktische Übungen aus, die online kaum ersetzt werden können. Studierende in Lehramtsfächern stehen vor der Frage, wie und wann sie angesichts eines eingeschränkten Schulbetriebs ihre notwendigen Praxissemester durchführen können – ein Teil ihrer Ausbildung, der besonders wichtig ist und dem viele mit Vorfreude entgegensehen.
Vielerorts herrscht Überforderung
Befragt man Studierende persönlich, wie sich ihr Alltag momentan abspielt, so bekommt man den Eindruck, dass viele Lernende und Lehrende gleichermaßen mit der Situation überfordert sind. Seminare und Klausuren werden kurzerhand in Hausarbeiten umgewandelt, die in zusammengewürfelten Teams absolviert werden sollen, in denen sich manche bis dato nicht einmal persönlich kannten. Dass einige Kommilitonen dabei einen äußerst „individuellen“ Arbeitsstil an den Tag legen, erschwert die Projekte. Das hat nicht selten zur Folge, dass sich Abgabetermine nur dann einhalten lassen, wenn einige wenige das Pensum für alle erledigen.
Vielerorts ist nicht klar, wie die große Zahl Studierender angesichts geschlossener oder nur stundenweise zugänglicher Universitätsbibliotheken an benötigte Bücher und Unterlagen kommt. Dies führt zu unverschuldeter Terminnot. Manche sehen sich gezwungen, Material, das sie ursprünglich ausleihen wollten, zu kaufen, um überhaupt voran zu kommen. Die fatalen Folgen für die studentische Geldbörse können oft nur durch elterliche Hilfe abgemildert werden.
A propos Finanzen: Vielen Studierenden brechen durch den Lockdown die Möglichkeiten weg, sich mithilfe von Nebenjobs finanziell über Wasser zu halten oder Geld für die eine oder andere Annehmlichkeit wie etwa den Besuch in Fitnessstudio, Theater, Konzert oder Kino zu verdienen. Dabei ist es nur ein schwacher Trost, dass diese Einrichtungen momentan ohnehin geschlossen sind. Kein Wunder, dass sich bei vielen Studierenden angesichts der Gesamtsituation Zukunftsängste breit machen. Manche unter ihnen erleiden zum ersten Mal in ihrem Leben Angstattacken, Schlafstörungen oder sogar depressive Episoden.
Erste Studien wecken Besorgnis
Jüngst erschienene Untersuchungen aus den von der ersten Corona-Welle und dem Lockdown besonders betroffenen europäischen Ländern nehmen die mentalen Belastungen in den Blick.
Aus Italien liegt eine Untersuchung aus der Universität Mailand vor. Befragt wurden Studierende und Angestellte der Universitätsverwaltung. Beide Gruppen berichten über das verstärkte Auftreten von Schlaflosigkeit und die Verschlechterung ihrer Schlafqualität. Die Betroffenen brauchten auch länger, um einzuschlafen. Außerdem nahmen Angstzustände und -attacken zu, und es kam verstärkt zu Symptomen von Depression. Die Autoren berichten von einer signifikanten Verschlechterung des psycho-emotionalen Wohlbefindens. Dabei sind die Effekte bei Studierenden größer als bei Uni-Mitarbeitern, und weibliche Teilnehmer sind stärker betroffen als männliche.
Auffallend ähnlich lesen sich die Befunde einer spanischen Studie an 2.500 Studierenden und Unimitarbeitern. Auch hier wurden signifikante Erhöhungen bei Stressempfinden, Angstzuständen und Depressionssymptomen gefunden. Besonders in den human- und sozialwissenschaftlichen Fachbereichen berichteten die Studierenden über eine starke Belastung, während technische Studiengänge nicht ganz so stark betroffen waren. Auch in dieser Erhebung sind die Effekte in allen Gruppen sichtbar, fallen aber bei Studierenden stärker aus als bei den Angestellten der Universität.
Über die Situation in Frankreich berichten Wathelet und Mitarbeiter. In einer landesweiten Untersuchung zeigen sie besorgniserregende Auswirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen. Von einer deutlich erhöhten Prävalenz mentaler Belastungsanzeichen wie Angstattacken, Stressempfinden, depressiven Symptomen oder gar suizidaler Gedanken wird berichtet. Als Auslöser nennen die Studienteilnehmer unter anderem die Angst vor wirtschaftlichem Abstieg, soziale Isolation, eine belastende Wohnsituation oder auch starke Ungewissheit aufgrund des Gefühls, unzureichend informiert zu sein. Die Verfasser heben hervor, dass die Betroffenen trotz gestiegener Belastung in der Pandemiezeit weniger professionelle Hilfe nutzten als sonst üblich.
Aus dem deutschsprachigen Raum liegen eher wenige Studien vor. In einer Erhebung der LMU München wurden Fragebögen aus bayerischen Universitäten ausgewertet. Auch hier wird von gesteigertem mentalen Stressempfinden und einer erhöhten psychischen Belastung berichtet. Als einen wichtigen Faktor betrachten die Autoren, dass es wegen geschlossener Trainingseinrichtungen für die Studierenden fast unmöglich ist, ihren hohen Bedarf an sportlicher Betätigung aufrecht zu erhalten. Dieser Zwangsverzicht auf ausgleichende körperliche Betätigung, sich bei allem Stress nicht mehr „auspowern“ zu können, setzte vielen Betroffenen zu.
So gibt es in der Pandemiesituation gerade in der Studierenden-Population immer mehr jüngere Menschen, die mental stark belastet sind, häufig schlecht schlafen, wie gerädert aufwachen, sich kaum konzentrieren können und weit mehr als sonst von Kopfschmerzen und Migräneattacken geplagt werden. Es ist zu befürchten, dass in der Zeit der Pandemie auch gesunde Mitmenschen deutlich häufiger über Kopfschmerzen klagen.
Was kann man tun?
Die Kopfschmerz- und Migräneattacken infolge der Belastungen durch Pandemie und Lockdown muss man nicht als unausweichlich hinnehmen. Vielmehr erscheint es erforderlich insbesondere im Angesicht dieser besonderen Belastung umso mehr auf die Einhaltung zentraler Prämissen der Kopfschmerzprävention zu achten. Besondere Bedeutung kommt dabei der bewussten Abwägung zwischen der Einhaltung regelmäßiger Routinen sowie der bewussten Entspannung zu. So ist es insbesondere im aktuellen „Home-Office“-Umfeld wichtig, dem neuen, ungewohnten Tageslauf Struktur zu geben und wichtige kopfschmerzrelevante Faktoren (wie etwa regelmäßigen Mahlzeiten, ausreichendem Trinken und einem gesunden Schlafrhythmus) auch unter den angespannten Bedingungen zu beachten. Gerade hier kann etwa die Kopfschmerz-App wertvolle Dienste leisten.
Daneben muss aber auch die bewusste Entspannung im Blick behalten werden: So ist die Verlockung derzeit groß, den ganzen lieben langen Tag mit Arbeit oder Entspannung vor dem Bildschirm zu verbringen und das nass-kalte Draußen möglichst zu meiden. Aus kopfschmerzpräventiver Sicht kann jedoch genau dieses Verhalten zu Problemen führen. Es gilt daher: Auch wenn das Fitnessstudio gerade geschlossen ist, sollte man oft ins Freie gehen und die sportliche Betätigung an die frische Luft verlegen. Das bringt den Kreislauf auf Trab, verbessert die Sauerstoffversorgung und hilft, die grauen Zellen fürs Studieren ohne Kopfschmerzen fit zu halten. Außerdem profitieren insbesondere Menschen, die unter Migräne leiden, von bewusst eingehaltenen Bildschirmpausen, der sog. Off-Screen-Time – gehört doch der Sehnerv zu den besonders energiehungrigen Teilen unseres Körpers. Kreative und neue Ideen, wie sich die Off-Screen-Time gestalten lässt, sind dabei dieser Tage zuhauf im Umlauf: So haben viele Menschen etwa das Backen für sich entdeckt, ein Trend der Kopfschmerz-geplagten uneingeschränkt zu empfehlen ist, handelt es sich doch bei einem frisch gebackenen Brot aus eigener Herstellung um die ideale Nervennahrung für den Arbeitstag zuhause.
Doch auch für den, der mit Kochschürze und Ofen fremdelt, gibt es eine Vielzahl von Ideen: Von Kalligraphie, Basteln, Briefe schreiben bis zum Erstellen der idealen Sommer-Vorfreude-Playlist sind die Social-Media-Kanäle dieser Tage voll von kreativen Wegen, dem eigenen Quarantäne-Blues zu begegnen. Wollen wir also hoffen, dass die neue, alte Zeit der Normalität möglichst bald wieder anbricht!
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Literatur
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