Geruchssinn und Migräne – über eine erstaunliche Verbindung

Geruchssinn und Migräne – über eine erstaunliche Verbindung
Die Wahrnehmung von Gerüchen hat einen Einfluss auf unser Schmerzempfinden. Dass dieser Zusammenhang schon lange bekannt ist, wissen wir zum Beispiel aus antiken ägyptischen Schriften. Neuer ist die Forschung darüber, wie die Wirkung genau zustande kommt. Entdeckt wurden die maßgeblichen Mechanismen von den amerikanischen Wissenschaftlern Richard Axel und Linda Buck, die für ihre Forschungen über unseren Geruchssinn im Jahr 2004 den Medizin-Nobelpreis verliehen bekommen haben. Sie fanden heraus, dass für unsere Geruchswahrnehmung spezielle Riechzellen in der Schleimhaut der Nasenhöhle zuständig sind, die eine unmittelbare Verbindung zum sogenannten Riechkolben im Gehirn haben. Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass von diesem Riechzentrum zusätzliche Verbindungen zu Hirnarealen bestehen, die unter anderem für unser Gedächtnis, unsere Emotionen und unser Schmerzempfinden eine Rolle spielen.
Lösen Gerüche Migräne-Attacken aus? Und wenn ja, welche?
Für viele Migränebetroffene ist der Zusammenhang zwischen Geruchswahrnehmung und Schmerzempfinden nicht neu. Nicht wenige Betroffene beschreiben, dass bestimmte Gerüche bei ihnen Migräneattacken auslösen können. Sie versuchen, zu vermeiden, solchen Geruchssignalen ausgesetzt zu werden, mit denen sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. Die Erfahrungen sind individuell sehr unterschiedlich: sie reichen vom Duft einer bestimmten Blume über Essensdünste, Zigarettenrauch oder Abgase bis hin zu süßlichen Parfums. Für die Angst vor (bestimmten) Geruchssignalen hat die Wissenschaft den Begriff der „Osmophobie“ geprägt. Man hat festgestellt, dass die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen bei Migräne mit Aura besonders ausgeprägt ist. Bei Patient:innen mit Kopfschmerz vom Spannungstyp wurde nie ein Zusammenhang zwischen Geruchsereignissen und Schmerzattacken festgestellt.
Geruchsempfindlichkeit bei Migränebetroffenen in Zahlen
Zum Zusammenhang von Geruchsempfindlichkeit und Migräne wurde am Universitätsklinikum Carl-Gustav-Carus in Dresden eine Erhebung mit mehr als 100 Teilnehmenden durchgeführt. Untersucht wurde, wie stark und wie häufig eine starke Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen in den verschiedenen Phasen einer Migräne-Attacke wahrgenommen wurde. Während der eigentlichen Migräne-Attacke, d.h. zum Zeitpunkt der Empfindung der Migräne-Kopfschmerzen, hatten 62%, also fast zwei Drittel der Betroffenen, eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Gerüchen. 38% waren bereits vor dem Beginn des Schmerzgeschehens davon betroffen. Ein knappes Drittel der Befragten gab an, eine ständig gesteigerte Geruchsempfindlichkeit in allen Stadien der Krankheit zu haben.
Etwa die Hälfte der untersuchten Patient:innen litt unter Migräne mit Aura, in dieser Gruppe trat die Geruchsempfindlichkeit doppelt so häufig auf wie bei den Betroffenen ohne Aura. In ihrer Gesamtheit legen die Resultate der Untersuchung den Schluss nahe, dass eine längere Erkrankungsdauer und eine starke Beeinträchtigung durch die Migräne auch eine besonders hohe Belastung der Betroffenen durch häufige Geruchsempfindlichkeit mit sich bringen.
Die Verbindung von Geruch und Schmerz
Geruchs- und Schmerzempfindung sind auf der Ebene des Nervensystems miteinander verbunden, die beiden Sinneswahrnehmungen beeinflussen einander. Wahrgenommene Gerüche wirken nicht nur auf die Sinneszellen der Riechschleimhaut, sondern reizen auch den sogenannten Trigeminusnerv, der Teile des Gesichts versorgt und eng in das Schmerzgeschehen eingebunden ist. Zwischen Riechzellen und Trigeminusnerv bestehen außerdem eigene Nervenverbindungen. So können Reize, die auf das Geruchsorgan wirken, zur Aktivierung des Trigeminusnervs führen und auf diesem Weg die Entstehung einer Migräneattacke begünstigen.
Wie eng Riechen und Schmerzwahrnehmung miteinander verbunden sind, zeigt auch das Phänomen, dass es Menschen gibt, die weder Gerüche wahrnehmen noch Schmerz empfinden können. Dies ist auf eine seltene Veränderung am Erbgut dieser Menschen zurückzuführen, aufgrund derer innerhalb der DNA ein bestimmter Eiweißstoff fehlt – was sich sowohl auf das Geruchs- als auch auf das Schmerzempfinden auswirkt.
Kann man verlernen, zu riechen?
Wenn es diesen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Geruchsempfindlichkeit und der Migräne gibt, können wir dann davon ausgehen, dass Migränepatient:innen einen besonders empfindlichen Geruchssinn haben? Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: In einer einschlägigen Untersuchung zeigten Migränebetroffene durchweg eine höhere sogenannte „Riechschwelle“ als Menschen ohne Migräne. Dies galt besonders für Patinent:innen mit Aura. Eine höhere Riechschwelle bedeutet, dass Gerüche erst in höheren Konzentrationen überhaupt wahrgenommen werden können.
In früheren Forschungen wurde gezeigt, dass bei vielen Migränebetroffenen der Riechkolben etwas kleiner ist als bei der Normalbevölkerung. Die Wissenschaft führt dies auf die beschriebene Geruchs-Vermeidungs-Strategie von Migränebetroffenen zurück: Weil Betroffene versuchen, Attacken-auslösende Geruchserlebnisse zu vermeiden, verkleinert sich das Nervenareal, das für die Verarbeitung der Riechsignale zuständig ist, weil die entsprechenden zu verarbeitenden Informationen – quasi der „Input“ für die Nerven – ausbleiben. Interessanterweise ist zugleich die Schmerzschwelle erniedrigt, was zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung führt.
Riechtraining für Migränebetroffene?
Um herauszufinden, ob man auf diese Veränderungen einwirken kann, führte die Arbeitsgruppe am Carus-Klinikum mit Migränepatient:innen Riechtrainings durch. Dabei wurden die Betroffenen über vier Wochen hinweg mehrmals täglich Düften ausgesetzt, die sie als angenehm empfanden, mithilfe von sogenannten Riechstiften, die zum Beispiel den Duft von Rose, Vanille, Pfirsich oder Lavendel enthielten. Es konnte gezeigt werden, dass sich infolge des Trainings die Riechwahrnehmung der Betroffenen verbesserte und gleichzeitig die Schmerzschwelle im Vergleich zur Kontrollgruppe nachweislich anstieg – die Behandelten empfanden einen herbeigeführten Schmerzreiz als weniger stark. Die Leiter der Untersuchung kommen zu dem Schluss, dass Riechtrainings ein geeignetes Mittel sein könnten, um bei Migränepatient:innen eine Linderung der Schmerzen oder sogar eine Vorbeugung von Attacken zu erreichen – weitere, umfangreiche Forschungsvorhaben dazu sind geplant.
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Literatur
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