Pausen vom Uni-Stress helfen gegen Kopfschmerzen
Give yourself a break – Pausen vom Uni-Stress helfen gegen Kopfschmerzen
Die gemeinnützige ZIES gGmbH, die Headache Hurts ins Leben gerufen hat, führte von 2016 bis 2019 unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hartmut Göbel (Schmerzklinik Kiel) an der Technischen Universität Dresden, der Fachhochschule Kiel und der Humboldt-Universität zu Berlin im Rahmen des Pilotprojekts „KopfHoch – Kopfschmerz und Migräne an der Hochschule kompetent vorbeugen“ eine umfassende Erhebung zur Kopfschmerzbelastung an Hochschulen durch. Die erhobenen Daten sind aussagekräftig: 74,8 % der Studentinnen und 56,8 % der Studenten leiden regelmäßig unter Kopfschmerzen, die Merkmale der Migräne, des Kopfschmerz vom Spannungstyp oder des Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch aufweisen. (Von den 367 Kopfschmerzarten, die die medizinische Forschung heute kennt, sind Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp und Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch die mit Abstand am weitesten verbreiteten Kopfschmerzarten: Über 92 % aller von Kopfschmerz betroffenen Menschen leiden mindestens an einer dieser drei Arten.)
Kopfschmerzen beeinträchtigen Studierende stark
Die „KopfHoch“-Erhebung zeigt: Kopfschmerzbetroffene Studierende sind in ihrer Leistungsfähigkeit oft erheblich eingeschränkt. Fast jede*r dritte Betroffene zeigte sich nach dem sogenannten MIDAS-Score, der in der internationalen Forschung zur Messung der kopfschmerzbedingten Behinderung benutzt wird, als „schwer beeinträchtigt“ (das ist der höchste Schweregrad). Nimmt man die mäßig Beeinträchtigten hinzu, kommt man hochgerechnet auf etwa 900.000 Studierende in Deutschland, die in ihrem Alltag durch Kopfschmerzen erheblich eingeschränkt sind. Durchschnittlich 2,4 Arbeitstage an der Hochschule gehen Betroffenen jeden Monat verloren. Bei Studierenden mit Migräne sind es sogar 2,7 Arbeitstage.
Stress ist ein Kopfschmerzfaktor, auch für Studierende
Zahlreiche Studien deuten auf einen Zusammenhang von Stress und Kopfschmerz hin. Stressauslösend können nach den aktuellen Erkenntnissen nicht nur ‚große‘, seltene Ereignisse sein, die einen kurzfristig stark herausfordern, sondern auch kleine, nervenaufreibende Vorkommnisse oder Umstände – unsere ‚daily hassles‘. Dazu zählen beispielsweise Überforderung im Studium, Termindruck bei Abgaben, Frustrationen, Konflikte mit Kommiliton*innen oder im privaten Bereich. (Mehr zum Zusammenhang von Stress und Kopfschmerz findest du hier.)
Uni-Stress: Besondere Belastungen durch intellektuelle Arbeit<
Studieren ist anspruchsvolle geistige Arbeit. Dabei ist zu beachten, dass das menschliche Gehirn bis zu 20% der dem Körper zur Verfügung stehenden Energie verbraucht. Bei intensiver intellektueller Betätigung werden Energiedefizite im Gehirn (entscheidend für Migräneattacken, siehe hier) und die Erschöpfung des körpereigenen Schmerzregulationssystems (entscheidend für Kopfschmerzen vom Spannungstyp, siehe hier) wahrscheinlicher – es sei denn, der hohe Energieverbrauch und die belastende Konzentrationsarbeit werden durch ausgleichende Maßnahmen (Nahrungsaufnahme, Erholungsphasen) kompensiert.
Fehlhaltungen = Kopfschmerzrisiko
Studierende verbringen einen großen Teil ihres Studienalltags mit Lernen, das heißt z.B. der Lektüre von Studienmaterialien und/oder konzentriert vor dem Computer. Die Arbeit vor dem Bildschirm belastet den Energiehaushalt, indem sie den energieintensiv arbeitenden Sehnerv besonders in Anspruch nimmt. Ein zusätzlicher Faktor: Beim Lernen sitzen Studierende oft stundenlang in unergonomischer Haltung. Der Schulter- und Nackenbereich verkrampft sich und die Halswirbelsäule wird in Mitleidenschaft gezogen. Diesen sogenannten muskulo-skelettalen Stress nehmen Betroffenen selbst oft nicht wahr. Weil man sich stark konzentriert und beim Lernen durchhalten will, überhört man wichtige Warnsignale des Körpers, wie z.B. Verspannungsgefühle im Nacken. Man verbleibt in der Fehlhaltung und erhöht damit insbesondere das Risiko von Spannungskopfschmerzen.
Auch Freizeit-Stress ist Stress
Die „KopfHoch“-Erhebung zeigt außerdem: Wer seinen Terminkalender immer zu voll packt, begünstigt Kopfschmerzen – selbst dann, wenn ausschließlich schöne und erfreuliche Termine anstehen. Die Begleitforschung zu „KopfHoch“ hat ergeben, dass kopfschmerzbetroffene Studierende zwar ähnlich viel Zeit mit Freizeitaktivitäten verbringen wie ihre kopfschmerzfreien Kommiliton*innen. Häufiger als diese geben sie jedoch an, nur manchmal oder nie über nicht verplante Zeit zu verfügen. Die statistischen Zusammenhänge zwischen der Summe der in Freizeitaktivitäten investierten Stunden und dem MIDAS-Grad der Belastung stützen die Annahme, dass ein Mangel an unverplanter Zeit insbesondere Migräneattacken begünstigt.
Die Pandemie belastet Studierende
Hinzu kommt: Wir befinden uns gerade in einer Ausnahmesituation. Die globale COVID 19-Pandemie dauert nun schon fast zwei Jahre an und für Studierende sind damit besondere Herausforderungen verbunden. Viele Lehrveranstaltungen finden weiterhin oder wieder nur online statt und die Bibliotheken als Rechercheraum sind oft nur eingeschränkt nutzbar, weshalb man auch beim Recherchieren und Lernen häufig ausschließlich am Bildschirm sitzt. Auch die Arbeitsplätze in den Hochschulen sind schon lange Zeit gar nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Man lernt zuhause allein vor sich hin, kann sich nicht in Pausen auf dem Gang mit seinen Kommiliton*innen austauschen, der direkte Kontakt zu den Lehrenden fällt weg und die motivierende Atmosphäre von Präsenz-Lehrveranstaltungen fehlt ebenfalls. Manche Studierende hatten noch kein einziges ‚normales‘ Semester und das Ende der Einschränkungen ist weiter ungewiss. Ungewissheit, Frust, Zukunftsängste, Einsamkeit – das alles bedeutet besonderen Stress.
Pandemie-Semester als Herausforderung
Hinzu kommt, dass auch der Lebenswandel oft ungesünder wird: Regelmäßige Mahlzeiten in der Mensa fallen aus und die Ernährung wird vielleicht ungesünder, der Schlaf kann leiden, weil der Tagesablauf immer mehr zu einem gleichbleibenden Trott wird und auch Bewegungsmangel kann zum Faktor werden, wenn der tägliche Gang zur Uni wegfällt und das Gym immer wieder geschlossen hat. Außerdem ist der digitale Stress in online-Semestern noch höher als sonst, und das macht sich bemerkbar. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2018 betrifft schon in Zeiten ohne Pandemie digitaler Stress besonders die Altersgruppe der 25- bis 35-Jähringen. Unter regelmäßigen Kopfschmerzen leiden laut der Studie 55 Prozent der digital Gestressten – das sind 25 Prozentpunkte mehr als bei den weniger Belasteten. Ebenfalls um 25 Prozentpunkte höher ist der Anteil derjenigen, die mit nächtlichen Schlafstörungen zu kämpfen haben. (Mehr zum Phänomen digitaler Stress findest du hier.)
Die Forschung zeigt: Pausen sind unverzichtbar
Verschiedene Studien (so z.B. eine finnische Studie aus dem Jahr 2010, eine dänische Studie von 2011 und eine deutsche Studie von 2020) untersuchten den Einfluss von Pausen auf die Kopfschmerzbelastung von Bürobeschäftigten, die hauptsächlich am Schreibtisch arbeiten. Die Ergebnisse: Wenn man seine Arbeitshaltung am Schreibtisch regelmäßig unterbricht, hat das einen merklichen positiven Einfluss auf die Kopfschmerzbelastung. Als besonders effektiv werden von den Forscher*innen Pausen ausgemacht, in denen Ausgleichsbewegungen zur Sitzposition gemacht werden, außerdem das Praktizieren von Stärkungs- und Dehnübungen der besonders beanspruchten Körperbereiche. Zum allgemeinen Stressausgleich erweise sich das regelmäßige Ausüben von speziellen Entspannungstechniken als wirkungsvoll – hier lässt sich ein positiver Effekt auf das Kopfschmergeschehen nachweisen.
Praxis-Tipps zu Pausen und Stressreduktion im Hochschulalltag
Regelmäßige Pausen, Sport und Entspannungsübungen sind äußerst wirksam beim Stressabbau und können gegen Kopfschmerzen helfen. Der Wechsel von Anspannung und Entspannung wirkt ausgleichend auf das Nervensystem und sorgt dafür, dass Stresshormone abgebaut werden. Wenn man einige Tipps berücksichtigt, kann man die Maßnahmen geschickt miteinander verbinden.
Tipp 1: Regelmäßige Pausen einplanen und einhalten
Plane in deinem Studienalltag realistische, aber regelmäßige Pausen ein. Halte dich gewissenhaft daran. Versuche, mehrmals am Tag Pausen von mindestens einer halben Stunde einzuplanen, aber auch kürzere Verschnaufpausen (von mindestens fünf Minuten). Lass dich von deinem Handy an die Pausen erinnern: stell dir zu regelmäßigen Zeiten einen Wecker und folge der Aufforderung. In der Headache Hurts-App gibt es eine Erinnerungsfunktion für Pausen, die du nutzen kannst. In den Pausen selbst solltest du aber ‚off screen‘ sein. Leg das Handy weg und wende deinen Blick vom Bildschirm ab.
Tipp 2: Aktive Pausen
Nutze die Pausen, um deine Sitzhaltung zu unterbrechen. Steh auf, geh durch den Raum, räkle und streck dich. Hüpfe hoch, schüttle Arme und Beine aus. Öffne das Fenster, schließe die Augen und atme tief ein und wieder aus. Nutze die Vorzüge der Home-Office-Situation: Wie wär’s mit einem Handstand am Bücherregal? Auch herzhaftes, lautes Gähnen kann erholsam sein!
Tipp 3: Trink-Pausen
Trink in deinen Pausen in Ruhe einige Schlucke Wasser oder andere ungesüßte Getränke (vielleicht magst du z.B. Tee lieber). Ohne Wasser kann unser Gehirn nicht arbeiten. Trink-Pausen helfen, auf die empfohlenen 2–3 Liter Flüssigkeit pro Tag zu kommen.
Tipp 4: Essens-Pausen
Mach auch zum Essen eine bewusste Pause. Wenn du die Augen auf den Bildschirm gerichtet hast, während du schnell eine Stulle verschlingst, ist das schlecht für deinen Stresshaushalt und deine Verdauung. Konzentriere dich nur auf dein Essen und nimm dir Zeit dafür. Schmeck bewusst und kau langsam.
Tipp 5: Entspannungsübungen
Das Ausüben bestimmter Entspannungstechniken hat sich in der Praxis als sehr wirksam erwiesen, um Stress abzubauen und Kopfschmerzen vorzubeugen. Entspannungsübungen helfen dabei, auch dann für einen kurzen Moment zur Ruhe zu kommen, wenn Sorgen, Anstrengung und Zeitdruck real sind. Plane regelmäßig Zeit für deine Entspannungsübung ein. Eine besonders bewährte Technik ist die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Du findest sie hier auf der Webseite und auch in der App (und mehr zur Wirksamkeit von Entspannungsübungen in diesem Artikel).
Tipp 6: Beweg dich
Sport hilft beim Stressabbau. Versuche, regelmäßig Sport zu machen, der dir guttut. Auch regelmäßige Spaziergänge sind gut fürs Bewegungs-Konto. (Genaueres zum Zusammenhang Sport und Kopfschmerzen: hier.)
Tipp 7: Mach deine Freizeit zur freien Zeit
Auch Freizeitstress ist Stress. Viele schöne Dinge vorzuhaben ist natürlich nichts Schlechtes. Es ist aber auch wichtig, immer wieder Zeiten im Terminkalender zu haben, in denen man wirklich überhaupt nichts vorhat. Lass dich treiben und genieße es, keinen nächsten Termin im Kopf zu haben, den du erwischen musst – und sei er noch so schön.
Tipp 8: Game-Changer Schlaf
Dass regelmäßiger, gesunder Schlaf ein entscheidender Faktor bei der Kopfschmerzprävention ist, ist gut belegt (wir haben dem Zusammenhang zwei Artikel gewidmet: einen zur Funktion des Schlafes und einen zur Schlafdauer). Finde heraus, was du zu einem erholsamen Schlaf brauchst. Nimm dir vor dem Schlafen eine halbe Stunde Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Schalte am besten dein Handy aus. Gehe nicht direkt vom Schreibtisch ins Bett. Lass Körper und Kopf zur Ruhe kommen – auch wenn das heißt, dass du dich erst eine halbe Stunde später hinlegst. Vielleicht findest du ein abendliches Ritual, mit dem du dich gern aufs Zubettgehen vorbereitest. Wie viele Stunden Schlaf brauchst du, um morgens erholt zu sein? 7 Stunden sind ein guter Richtwert.
Eine schweizerisch-niederländische Studie aus dem Jahr 2018 bringt außerdem etwas zutage, was für Studierende besonders interessant ist. Guter Schlaf ist nicht nur gut gegen Kopfschmerzen. Er trägt auch dazu bei, Gelerntes effektiver zu fixieren. Schlaf macht außerdem den Anteil an Lernstoff, der in der abrufbaren Erinnerung (‚declarative memory‘) ursprünglich nur ‚schwach fixiert‘ war, später besser abrufbar. Guter Schlaf: ein Game Changer!
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LITERATUR
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Epidemiologische Untersuchung im Rahmen von „KopfHoch – Kopfschmerz & Migräne an der Hochschule kompetent vorbeugen“, ZIES gGmbH, Frankfurt am Main, 2019
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