Zähneknirschen und Kopfschmerz – Was ist Huhn und was ist Ei?

Zähneknirschen und Kopfschmerz – Was ist Huhn und was ist Ei?
Ein Symptom, das häufig mit Kopfschmerzen in Verbindung gebracht wird, ist Zähneknirschen. Das Phänomen ist alles andere als ein Nischenproblem, denn etwa jede fünfte Studentin weiß, dass sie im Schlaf die Zähne zusammenpresst oder knirscht. Bei ungefähr einem Zehntel der männlichen Studenten ist dies ebenso, wie eine Befragung im Rahmen einer Studie an 4400 Studenten ergab (Finnish Student Health Survey).1 37% der Befragten gaben zudem Schmerzen an, die zu einer Störung im Bereich des Kauapparates passen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer oromandibulären Dysfunktion (OMD), alternativ auch von einer temporomandibulären Dysfunktion (TMD).
Charakteristisch für diese Erkrankung sind Schmerzen im Bereich des Kiefergelenks, eine Einschränkung der Mundöffnung (‚Trismus‘), Reibegeräusche im Kiefergelenk bei Bewegung und auch eine erhöhte Muskelspannung im Kauapparat. Im Kernspintomogramm findet sich außerdem häufiger eine Flüssigkeitsansammlung im Bereich des Kiefergelenks oder auch eine Verschiebung knorpeliger Kiefergelenksanteile. Interessanterweise unterscheidet sich die Ausprägung der Beschwerden stark in Abhängigkeit vom Geschlecht. Bei Frauen sind Schmerzintensität und Muskelspannung und im Vergleich zu den betroffenen Männern deutlich erhöht. Die Altersverteilung ist bei Männern gleichmäßig, während Frauen im Alter unter 25 und zwischen 55 und 60 häufiger Beschwerden haben.2
Der Zusammenhang mit dem Kopfschmerz
In der neurologischen Praxis begegnen dem Arzt viele Kopfschmerzpatienten, die auch über Symptome einer oromandibulären Dysfunktion klagen.3 Die wissenschaftlichen Untersuchungen hierzu sind jedoch nicht einheitlich und zeigen unterschiedliche Ergebnisse. Dies hat oftmals methodische Gründe. Im Rahmen mehrerer Studien zeigte sich, dass Kopfschmerzpatienten deutlich häufiger eine oromandibuläre Dysfunktion haben als Nichtbetroffene. In einer Untersuchung der Universitäten Kopenhagen und Aarhus litten daran etwa 56% der Kopfschmerzpatienten.4 Das Vorkommen dieser Erkrankung in der allgemeinen Bevölkerung wird hingegen nur mit ca. 5–15% angegeben. Umgekehrt fand eine kontrollierte Studie aus Sao Paulo, dass in der untersuchten Gruppe von ausschließlichen OMD-Patienten 85,5% unter Kopfschmerzen litten.5 Mehr als die Hälfte dieser Patienten erfüllte die Kriterien für eine Migräne. Auch aufgrund der niedrigen Fallzahl ist diese Untersuchung allerdings nicht repräsentativ.
Welche Tendenz gibt es in der weiteren Forschung zum Zusammenhang von Kopfschmerzen und Zähneknirschen? Um hierzu einen Überblick zu erhalten, verfassten Graziela de Luca Canto et al. eine Reviewarbeit von insgesamt 449 wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Zusammenhang zwischen nächtlichem Bruxismus (Zähnepressen und -knirschen) und Kopfschmerzen.6 Um eine Vergleichbarkeit der Untersuchungen zu erzielen, wurde eine Vorauswahl auf Basis einheitlicher diagnostischer Kriterien getroffen. Lediglich 2 der 449 Studien erfüllten diese Kriterien. Es fand sich bei gesichertem Bruxismus eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für das gleichzeitige Auftreten von Kopfschmerzen, im Rahmen einer Studie insbesondere für Migräne. Eine Kausalität ist jedoch aus keiner der genannten Studien abzuleiten.
Kausalität ungeklärt, aber...
Der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand besagt daher, dass Kopfschmerzen und eine oromandibuläre Dysfunktion sich höchstwahrscheinlich wechselseitig beeinflussen können und auf diesem Wege das jeweils andere Symptom zur Geltung bringen. Besonders bei Migränepatienten kann Stress, der durch die Beanspruchung der Kaumuskulatur bei Bruxismus-Patienten entsteht, als Triggerfaktor wirken.
Für die Praxis heißt das: Die Behandlung einer oromandibulären Dysfunktion kann zur Linderung von Kopfschmerzbeschwerden oftmals erforderlich sein. Eine Heilung chronischer Kopfschmerzen ist davon aber nicht zu erwarten.Nicht jeder weiß, ob er auch wirklich zur Gruppe der Betroffenen gehört – vor allem wenn das Zähneknirschen nachts auftritt. Für alle, die sich hier unsicher sind, haben wir den Link zum entsprechenden Schnelltest nach Prof. Dr. Hartmut Göbel von der Schmerklinik Kiel eingefügt.
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Literatur
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1. Huhtela OS, Näpänkangas R, Joensuu T, Raustia A, Kunttu K, Sipilä K. Self-Reported Bruxism and Symptoms of Temporomandibular Disorders in Finnish University Students. J Oral Facial Pain Headache. 2016 Fall;30(4):311-317. doi: 10.11607/ofph.1674.
2. Schmid-Schwap M, Bristela M, Kundi M, Piehslinger E. Sex-specific differences in patients with temporomandibular disorders. J Orofac Pain. 2013 Winter;27(1):42-50. doi: 10.11607/jop.970.
3. Göbel, Hartmut: Die Kopfschmerzen: Ursachen, Mechanismen, Diagnostik, Therapie. 3. Auflage Berlin / Heidelberg. 2012.
4. Ballegaard V, Thede-Schmidt-Hansen P, Svensson P, Jensen R. Are headache and temporomandibular disorders related? A blinded study. Cephalalgia. 2008 Aug;28(8):832-41. doi: 10.1111/j.1468-2982.2008.01597.x. Epub 2008 May 21.
5. Franco AL, Gonçalves DA, Castanharo SM, Speciali JG, Bigal ME, Camparis CM. Migraine is the most prevalent primary headache in individuals with temporomandibular disorders. J Orofac Pain. 2010 Summer;24(3):287-92. PubMed PMID: 20664830.
6. De Luca Canto G, Singh V, Bigal ME, Major PW, Flores-Mir C. Association between tension-type headache and migraine with sleep bruxism: a systematic review. Headache. 2014 Oct;54(9):1460-9. doi: 10.1111/head.12446. Epub 2014 Sep 18. Review.
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