Der Einfluss des Wetters auf das Kopfschmerzgeschehen
Der Einfluss des Wetters auf das Kopfschmerzgeschehen
Die Auswirkungen des Wetters auf unsere Befindlichkeit sind regelmäßig Gegenstand der Berichterstattung in den unterschiedlichsten Medien. Dabei stehen immer wieder Kopfschmerzen im Fokus des Interesses, denn sowohl für Migräne als auch für Kopfschmerz vom Spannungstyp werden Wetterphänomene von den Betroffenen auffällig häufig als Auslöser genannt. In manchen Untersuchungen sind es bis zu 70 Prozent, die eine ursächliche Verbindung zwischen der Wetterlage und ihren Kopfschmerzen angeben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man in zahlreichen Studien versucht hat, die Frage nach signifikanten Zusammenhängen zu klären und vielleicht sogar Korrelationen sicher zu benennen, die für solche Effekte verantwortlich sein könnten.
Theorie und Praxis der Studien
Die methodische Vorgehensweise ist bei vielen dieser Untersuchungen ähnlich. Patienten, die unter Migräne oder Kopfschmerz vom Spannungstyp leiden, führen über einen bestimmten Zeitraum hinweg ein Kopfschmerz-Tagebuch, in dem sie die Schmerzattacken sorgfältig eintragen und beschreiben. Parallel dazu ermittelt man die verfügbaren Wetterdaten (Luftdruck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windbewegung u.s.w.), die in der Regel von der nächstgelegenen Wetterstation stammen. Zudem erfasst man dynamische Prozesse wie etwa fallenden Luftdruck oder steigende Temperatur, weil viele Patienten angeben, dass es gerade bei „Wetterwechsel“ zu Attacken komme. Auf diese Weise sammelt man eine gewaltige Menge an Daten.
Nun setzt man mithilfe mathematisch-statistischer Modelle die Aufzeichnungen der Patienten über einen aufgetretenen Kopfschmerz mit den einzelnen Wetter-Parametern, die zu diesem Zeitpunkt vorhanden waren, oder auch mit beliebigen Kombinationen daraus (z.B. Luftdruck und Temperatur) in Beziehung. Ziel der aufwendigen Berechnungen ist es herauszufinden, ob sich bei bestimmten Kombinationen statistisch aussagekräftige, also signifikante Zusammenhänge zwischen Wetterphänomenen und Kopfschmerzereignissen ergeben.
So weit die Theorie, der zufolge man bei ähnlicher Vorgehensweise vergleichbare Resultate erzielen sollte. Die Praxis zeigt jedoch eine bemerkenswerte Heterogenität an Ergebnissen. Es finden sich sowohl Studien, die keinerlei Zusammenhänge bestätigen als auch solche, die zumindest geringe Korrelationen schildern. In jedem Fall ist im Vergleich zu anderen naturwissenschaftlichen Forschungen gerade auf diesem Gebiet die Studienlage als besonders kontrovers zu bezeichnen. Dennoch sollen hier einige der Untersuchungen kurz beleuchtet werden.
Einige Studienresultate
In einer Studie, die an der Berliner Charité durchgeführt wurde, glich man die Kopfschmerz-Tagebücher von Migräne-Betroffenen über ein Jahr hinweg im 4-Stunden-Takt mit Wetterdaten wie Temperatur und Luftdruck ab. Bei sechs Patienten fand sich ein statistisch gesicherter Zusammenhang zwischen Migräne-Attacken und parallelen Wetterphänomenen, nämlich einem Temperaturabfall bei gleichzeitigem Anstieg der Luftfeuchtigkeit. Weitere Zusammenhänge waren nicht nachweisbar.
Genetik als „stiller“ Faktor
Die Autoren nehmen bei der Interpretation ihrer Resultate auch genetische Faktoren in den Blick, die hier in die Befunde hineinwirken könnten. Ist es denkbar, so ihre Frage, dass es in der Population Individuen gibt, die eine genetische Disposition für eine Reaktion auf Wetterlagen oder -änderungen mitbringen? Dies würde erklären, warum signifikante Korrelationen nur in einer Gruppe gefunden wurden. Gleichwohl offenbart die Studie, wie schwierig es ist, sicher zu benennen, wenn Faktoren wie die aktuelle Befindlichkeit des Probanden, seine genetische Veranlagung und physikalisch messbare Wetterdaten gleichzeitig im Spiel sind.
Die Verfasser der Studie wagen zumindest die Hypothese, dass es möglicherweise tatsächlich eine Sub-Population unter den Migräne-Patienten gibt, deren genetische Disposition eine Reaktion auf Wetterphänomene wahrscheinlicher macht, als dies beim Rest der Population der Fall ist. Dies würde auch eine elegante Erklärungsmöglichkeit liefern für die auffällige Inkonsistenz zwischen verschiedenen, ursprünglich ähnlich konzipierten Untersuchungen: Wenn die genetischen Hintergründe bei der Auswahl der Probanden nicht ins Kalkül gezogen wurden, könnten rein zufällig Gruppen von höchst unterschiedlicher oder auch gleichartiger Veranlagung entstanden sein, deren Zusammensetzung das Resultat der Untersuchung unbemerkt beeinflusste.
Kontroverse Resultate
Bei einer Untersuchung an der Universität Wien führten 238 Patienten über 90 Tage hinweg ein Kopfschmerz-Tagebuch, in dem sie täglich insgesamt 59 Eintragungen von Fakten und Details vornehmen sollten. Dabei wurden auch Angaben zur subjektiven Wetterwahrnehmung erfragt. Hatte es im ersten Schritt der statistischen Auswertung noch so ausgesehen, als seien Zusammenhänge erkennbar, so ließen sich diese nach weiterer, sogenannter multivariater Analyse nicht mehr nachweisen. Es zeigte sich ein grundlegendes Phänomen, das von vielen Autoren beschrieben wird: Der Anteil an Patienten ist hoch, die für sich selbst quasi „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ einen Zusammenhang zwischen Wetter(-änderung) und Kopfschmerzgeschehen ausgemacht haben wollen. Da es sich bei solchen Einschätzungen allerdings letztlich um subjektive Empfindungen handelt, halten sie in den wenigsten Fällen einer wissenschaftlichen Untersuchung stand.
Wie schon erwähnt, gibt es bei kontroverser Datenlage immer auch Gegenbeispiele zum bislang Beschriebenen. Kazuhito Kimoto von der Dokkyo Medical University im japanischen Mibu zeigte 2011 in einer Studie an Migräne-Patienten einen gesicherten Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Attacke und dem Phänomen Luftdruck. Nicht der statische Druck war dabei effektiv. Vielmehr kam es gehäuft – bei 18 von 28 untersuchten Patienten – zu Migräneanfällen, wenn eine Abnahme des Luftdrucks um einen Betrag von mehr als 5 hPa erfolgte.
Diskrepanz zwischen Fühlen und Messen
Die Arbeitsgruppe um die Wissenschaftler Prince und Rapoport von der Yale University School of Medicine im amerikanischen Connecticut fanden ebenfalls bei einem Teil der untersuchten Patienten einen statistischen Zusammenhang zwischen einem oder mehreren Wetterphänomenen und dem Auftreten von Migräne. Es stellte sich allerdings heraus, dass weit mehr Patienten eine Empfindlichkeit angegeben hatten als tatsächlich festgestellt wurde. Außerdem waren andere Faktoren wirksam als die von den Teilnehmern selbst als Trigger angegebenen. Es bestand also eine deutliche Diskrepanz zwischen „gefühltem“ und nachweisbarem Zusammenhang, die letztlich nicht erklärbar war.
Wo liegt die Wahrheit?
Das Thema „Wetter und Kopfschmerz“ sorgt wie kaum ein anderes immer wieder für widersprüchliche Forschungsergebnisse und kontroverse Bewertungen. Wer glaubt, die Naturwissenschaft könne hier verlässlich Licht ins Dunkel bringen, sieht sich getäuscht. Zu zahlreich sind die Faktoren, die an diesem Phänomen, das von jedem Betroffenen subjektiv anders empfunden wird, mitwirken. Kein Zweifel, unser Körper reagiert auf das Wetter, und manche Menschen sind gegenüber einem Wetterwechsel empfindlicher als andere. Das ist aber schon fast alles, was man zuverlässig sagen kann.
Womöglich beruht Wetterfühligkeit auch, wie Angela Schuh, Professorin für medizinische Klimatologie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München in ihrem Buch „Biowetter“ schreibt, zum Teil auf einem „Trainingsmangel des ganzen Körpers, der dazu führt, dass sich dieser an unterschiedliche Wetterlagen nicht mehr schnell genug und vor allem nicht physiologisch richtig, das heißt mit den richtigen körperlichen Abläufen, anpassen kann." Hinzu kommt: Der moderne Mensch ist meist in Innenräumen tätig, erhält zu wenig Tageslicht und führt ein unregelmäßiges Leben. Diese „Entrhythmisierung“, wie Schuh das nennt, könnte auch ihren Anteil am Auftreten von Kopfschmerz bei Wetterfühligkeit haben. Und damit wären wir letztlich wieder bei einem multifaktoriellen Geschehen, das sich der Untersuchung mit den Werkzeugen der Naturwissenschaft weitgehend entzieht.
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Literatur
read
1. Hoffmann J, Lo H, Neeb L, Martus P, Reuter U. Weather sensitivity in migraineurs. J Neurol. 2011 Apr;258(4):596-602. doi: 10.1007/s00415-010-5798-7. Epub 2010 Oct 24.
2. Holzhammer J, Wöber C. Nichtalimentäre Triggerfaktoren bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp. Schmerz. 2006 Jun;20(3):226-37. Review.
3. Kimoto K, Aiba S, Takashima R, Suzuki K, Takekawa H, Watanabe Y, Tatsumoto M, Hirata K. Influence of barometric pressure in patients with migraine headache. Intern Med. 2011;50(18):1923-8. Epub 2011 Sep 15.
4. Prince PB, Rapoport AM, Sheftell FD, Tepper SJ, Bigal ME. The effect of weather on headache. Headache. 2004 Jun;44(6):596-602.
5. Schuh A: Biowetter. München 2007.
6. Wöber C. Was sind echte Kopfschmerztrigger? MMW Fortschr Med. 2012 Feb 9;154(2):65-7.
7. Zebenholzer K, Rudel E, Frantal S, Brannath W, Schmidt K, Wöber-Bingöl C, Wöber C. Migraine and weather: a prospective diary-based analysis. Cephalalgia. 2011 Mar;31(4):391-400. doi: 10.1177/0333102410385580.
8. Internet: https/www.welt.de/gesundheit/article146248875/Kann-das-Wetter-Migraene-Attacken-ausloesen.htmlclose