Migräne und der weibliche Zyklus – was wissen wir darüber?
Migräne und der weibliche Zyklus – was wissen wir darüber?
Dass Frauen häufiger als Männer von Migräne betroffen sind, lässt sich statistisch nachweisen. Die Ursachen für diese ungleiche Verteilung werden in der Kopfschmerzforschung seit jeher heiß diskutiert. Eine Frage, die vermehrt die Aufmerksamkeit der Forscher*innen auf sich zieht, ist die nach der Rolle von Sexualhormonen bei der Entstehung von Migräneattacken.
Ob zwischen den natürlichen Schwankungen im weiblichen Hormonhaushalt, die während eines typischen Verlaufs des weiblichen Zyklus und insbesondere rund um die Menstruation die Regel sind, und dem Entstehen von Migräneattacken ein Zusammenhang besteht, ist eine Frage, die vor allem viele weibliche Migränebetroffene immer wieder umtreibt. Wir fassen in diesem Artikel knapp zusammen, wo die Forschung zu diesem Thema aktuell steht: Was wissen wir, was wissen wir (noch) nicht über das Phänomen der sogenannten „menstruellen Migräne“? Es sei schon vorweg gesagt: Der Zusammenhang ist ausgesprochen komplex und die Forschung hat noch Einiges vor sich. Aber Forscher*innen weltweit sind fleißig dabei, Untersuchungen an- und Erklärungshypothesen aufzustellen, sodass wir der Sache hoffentlich immer weiter auf den Grund gehen. Für die Migräneprävention bedeutet das: 1) Dranbleiben beim Projekt, deinen Alltag kopffreundlich zu gestalten (hier findest du Grundlegendes zur Entstehung der Migräne und hier Hinweise und Hilfestellungen zur Prävention). 2) Neugierig bleiben beim Entdecken der neuesten Forschungserkenntnisse – schau immer mal wieder in unsere Artikel, was die aktuelle Forschung zu den Schwerpunktthemen der Kopfschmerzprävention sagt.
Spielen Sexualhormone eine Rolle?
Christian Wöber, der die Kopfschmerzambulanz am AKH Wien leitet, ist vom Wissenschaftsmagazin des Österreichischen Rundfunks zum Phänomen der Ungleichverteilung der Migränebelastung zwischen den Geschlechtern befragt worden. Er berichtet aus dem Klinikalltag, dass bei seinen weiblichen Patienten einige Hinweise darauf zu erkennen seien, dass die Sexualhormone eine Rolle bei der Entstehung von Migräneattacken spielen. Die Schwankungen im Hormonspiegel, die innerhalb eines typischen Verlaufs des weiblichen Zyklus auftreten, könnten Migräneattacken begünstigen, so Wöber. Seine Beobachtung: Bei Frauen nach der Menopause zeige sich oft eine Verbesserung hinsichtlich der Migräne. Ein weiteres Phänomen sei die geringere Migränebelastung bei schwangeren Patientinnen. Nach der Menopause, so Wöber, pendele sich der Östrogenspiegel auf einem konstanten Niedrigstand ein, während er in der Schwangerschaft gleichbleibend hoch sei. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Tatsache, dass zyklusbedingte Schwankungen im Östrogenspiegel in diesen beiden Lebensphasen nicht auftreten, für die Besserung der Migränebelastung verantwortlich sein könnte.
Natürliche Hormonschwankungen regulieren den weiblichen Zyklus
Ein typischer Verlauf des weiblichen Zyklus sieht wie folgt aus: Der Menstruationszyklus beginnt mit dem ersten Tag der Menstruation. Während der Menstruation wird die Gebärmutterschleimhaut, die im vorhergehenden Zyklus aufgebaut wurde, abgestoßen. Zu Beginn des Zyklus ist der Östrogenspiegel verhältnismäßig niedrig. Sobald die Eierstöcke mit der Bildung reifer Eizellen beginnen, steigt der Östrogenspiegel allmählich an. Dieser Zeitraum wird „Follikelphase“ oder „Eireifungsphase“ genannt, weil die Eizellen sich in den sogenannten „Follikeln“ entwickeln. „Follikel“, auch „Eibläschen“ genannt, sind die im Eierstock angesiedelten Einheiten aus Eizelle und umgebenden Hilfszellen. In der Regel setzt sich ein dominanter Follikel durch und lässt die enthaltene Eizelle zur Reife heranwachsen. Der steigende Östrogenspiegel sorgt dafür, dass die Gebärmutterschleimhaut aufgebaut wird. Sie wird dicker, stark durchblutet und mit Nährstoffen versorgt, um einer eventuellen befruchteten Eizelle den idealen Nährboden zum Wachstum bereitzustellen. Bis zum Eisprung steigt der Östrogenspiegel immer weiter an. Beim Eisprung – der „Ovulation“ – platzt der dominante Follikel, die reife Eizelle wird aus dem Eierstock ausgestoßen und gelangt durch den Eileiter in Richtung der Gebärmutter. Unmittelbar nach dem Eisprung kommt der Zyklus in die sogenannte „Lutealphase“ oder „Gelbkörperphase“. Aus dem verbleibenden Follikel bildet sich der „Gelbkörper“, der mit der Produktion des Hormons Progesteron beginnt. Das Progesteron sorgt für den Erhalt der zuvor mithilfe des Östrogens aufgebauten Gebärmutterschleimhaut. Wird die Eizelle nicht befruchtet, baut sich der Gelbkörper ab und die Progesteronproduktion wird eingestellt. Neben dem Östrogenspiegel fällt auch der Progesteronwert ab. Mit dem Abfall der beiden Hormone beginnt die Ablösung der Gebärmutterschleimhaut. Während der nächsten Menstruation wird diese vom Körper abgestoßen, ein neuer Menstruationszyklus beginnt.
Die Sache mit den Hormonen – eine komplexe Angelegenheit
2018 hat ein spanisches Forscher*innenteam in einer Übersichtsstudie die vorhandene Forschungsliteratur zur Rolle der Sexualhormone bei der Entstehung von Migräne ausgewertet. Laut der Analyse zeigen frühere Studien, dass bei Migränepatientinnen im sogenannten fruchtbaren Alter mit einem typischen weiblichen Zyklus das Risiko für eine Migräneattacke rund um die Menstruation signifikant höher ist. Die Zyklusphase, von der vermutet wird, dass sie Migränepatientinnen besonders anfällig für Migräneattacken macht, erstreckt sich von den zwei Tagen vor der Menstruation bis zu den drei Tagen danach. Diese Phase des weiblichen Zyklus ist von einem starken Umschwung im Östrogen- und Progesteronspiegel geprägt. Die Forscher*innen betonen, dass die Frage nach der Rolle der Sexualhormone bei der Entstehung von Migräne eine komplexe Angelegenheit ist und noch viel Forschung betrieben werden muss, um ihr genau auf den Grund zu gehen. Sie unterstreichen in ihrer Studie ausdrücklich, dass es insbesondere hinsichtlich des Zusammenhangs von weiblichem Zyklus und Migräne an klinischen Langzeitstudien fehlt, die verlässliche Daten liefern könnten.
Östrogen und Trigeminus – ein schlechter Einfluss?
Dennoch stellen sie eine interessante Hypothese auf: Die Schwankungen im Östrogenspiegel während des weiblichen Zyklus könnten Zellen im sogenannten Trigeminus beeinflussen. Der Trigeminus ist ein Gehirnnerv, dem bei der Vermittlung von Impulsen, die Migräneattacken auslösen, eine entscheidende Rolle zugeschrieben wird. Eine mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass über den Trigeminus vermittelte Nervenimpulse zu einer Entzündung an den Blutgefäßen der Hirnhäute führen und diese Entzündungen sich dann in Form der typischen pulsierenden, pochenden Migränekopfschmerzen äußern. Den spanischen Forscher*innen zufolge könnten Sexualhormone so auf den Trigeminus einwirken, dass er sensibler auf jene Impulse reagiert, die zu Migräneattacken führen. Die Forscher*innen stellen die Hypothese auf, dass diese Sensibilisierung passiert, indem die Sexualhormone auf die sogenannten „TRP-Kanäle“ – die Ionenkanäle in der Zellwand von Schmerzrezeptoren – rund um den Trigeminus einwirken.
Die Hinweise verdichten sich: Der Östrogenspiegel könnte ein Faktor zu sein
Die Vermutung, dass die Hormone, die den weiblichen Zyklus regulieren, über ihre Wirkung auf den Trigeminus das Migränegeschehen beeinflussen, greifen drei italienische Forscherinnen in einer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2020 auf. Ihre Annahme: Sexualhormone könnten sowohl auf die Häufigkeit als auch auf die Schwere von Migräneattacken einen Einfluss haben. Eine US-amerikanische Übersichtsstudie von 2020 stellt die regelmäßige menstruelle Migräne von Frauen im fruchtbaren Alter der Migränebelastung gegenüber, die sich bei Frauen innerhalb der sogenannten „Wechseljahre“, d.h. zum Ende der fruchtbaren Lebensphase, einstellen kann. Es wird eine Gemeinsamkeit darin gesehen, dass in beiden Fällen die Migränebelastung dann zunimmt, wenn der Östrogenspiegel abfällt: Bei menstrueller Migräne steige die Gefahr für Migräneattacken regelmäßig mit dem plötzlichen Abfall des Östrogenspiegels rund um die Menstruation. In den Wechseljahren gelte das Gleiche für diejenige Phase, in der zur Vorbereitung auf die Menopause und im Übergang in die Postmenopause – d. h. in den Zeitraum nach der letzten Monatsblutung – der Östrogenspiegel allmählich dauerhaft abfällt.
Wo steht die Forschung?
Bereits 2014 hatte ein US-amerikanisches Forscher*innenteam in einer Übersichtsstudie bemerkt, dass die Erkenntnisse um eine mögliche Zunahme von Migränebeschwerden bei einem abfallenden Östrogenspiegel einen Ansatzpunkt für weitere Forschungen hinsichtlich einer eventuellen Beeinflussung der menstruellen Migräne durch hormonelle Empfängnisverhütung bieten könnten. Zu dieser Frage, über die sich viele Migränepatientinnen Gedanken machen, fand die Forschung aber bis heute keine abschließende Antwort. Die Forscher*innen aller Studien betonen ausdrücklich die Komplexität der Frage nach der Rolle, die Sexualhormone für die Migräne haben. Ganz allgemein muss man die Erklärungsansätze, die die Forschung in diesem Bereich vorbringt, als das betrachten, was sie sind: Hypothesen, die hoffentlich in naher Zukunft den Weg zu einem besseren Verständnis der Migräne ebnen. Die Gründe, die für die allgemeine Ungleichverteilung der Migränebelastung zwischen den Geschlechtern sorgen, sind vermutlich vielfältig und bedürfen weiterer engagierter Forschung auf vielen Gebieten.
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Literatur
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