Migräne ist nicht gleich Epilepsie. Hängen sie trotzdem zusammen?

Migräne ist nicht gleich Epilepsie. Hängen sie trotzdem zusammen?
Kopfschmerzen kommen oft nicht allein. Kopfschmerzen haben viele Begleiterkrankungen, und diese treten besonders dann auf, wenn die Kopfschmerzen schwer oder chronisch sind. (Zu solchen sogenannten „Komorbiditäten“ bei Spannungskopfschmerzen siehe diesen Artikel, zum Zusammenhang etwa von Migräne und Schlaganfällen siehe hier.) Dass es gerade unter neurologischen Erkrankungen eine ganze Reihe von Querbeziehungen zu geben scheint, beschäftigt die medizinische Forschung intensiv. Ein besonders interessanter möglicher Zusammenhang ist der zwischen Migräne und Epilepsie.
Migräne und Epilepsie: Statistische Überschneidungen
Haben Migränebetroffene ein erhöhtes Epilepsie-Risiko? Leiden Menschen mit Epilepsie häufiger an Migräne? Diese Fragen leitete eine britisch-niederländischen Arbeitsgruppe bei einer umfangreichen Übersichtsarbeit zu mehreren Studien über die Verbindung zwischen Migräne und Epilepsie mit insgesamt 1,5 Millionen Teilnehmenden. Die Gesamtdatenlage der unterschiedlichen Studien zeigte, dass unter Epilepsiepatient:innen die Prävalenz von Migräne – verglichen mit der in der Epilepsie-freien Gesamtbevölkerung – um mehr als die Hälfte (52%) erhöht war. Die Gruppe der Migränebetroffenen zeigte wiederum einen um 79% höheren Anteil an Patient:innen, die eine Epilepsie hatten.
Gemeinsame Pathophysiologie?
Einen Grund für diese auffällig starke Assoziation beider Erkrankungen sehen die Autor:innen in den Genen der Betroffenen. Durch langjährige Forschung konnten inzwischen mehrere Erbanlagen identifiziert werden, die bei beiden Krankheiten gleichermaßen vorkommen. Außerdem vermutet man, dass die sogenannte Streudepolarisierung (engl. cortical spreading depression, CSD), die während einer Migräneattacke im Gehirn abläuft (siehe dazu diesen Artikel), auch bei der Epilepsie eine Rolle spielen könnte. Bei eingehenden Untersuchungen der Hirnströme von Patient:innen fand man Hinweise darauf, dass die einer CSD zugrunde liegende Übererregbarkeit bestimmter Gehirnareale, die sich bei Migränebetroffenen findet, auch für neuronale Vorgänge mit-ursächlich sein könnte, die zur Entstehung von Epilepsie beitragen.
Wenn sich herausstellte, dass bei der Entstehung der Migräne und der Epilepsie tatsächlich dieselben grundlegenden Mechanismen am Werk sind, dann müsste man von einer gemeinsamen Entstehungsgeschichte (Pathophysiologie) der beiden Erkrankungen sprechen. Diese Vermutung wird durch eine weitere Tatsache gestützt: Der Krankheitsverlauf bei Epilepsie scheint bei gleichzeitigem Vorliegen einer Migräne schwerer und die Prognose für die Betroffenen schlechter zu sein.
Ein Forschungs-Problem
Was die Wissenschaftler:innen allerdings bemängeln, ist, dass die unterschiedlichen Studien zu Migräne und Epilepsie nur eingeschränkt vergleichbar sind: Um diagnostisch abzusichern, ob bei den Betroffenen tatsächlich Migräne und/oder Epilepsie vorliegen, werden in den verschiedenen Erhebungen unterschiedliche Methoden angewandt. Dies führt wiederum dazu, dass sich die Daten nicht unbedingt gleich bewerten lassen – was aber wichtig ist, wenn man sichere Schlüsse zum Zusammenhang der beiden Erkrankungen ziehen will. Entsprechend betonen die Autor:innen die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen, die durch einheitliche Methodik zu Resultaten führen, die sich untereinander besser vergleichen lassen.
Gibt es einen zeitlichen Zusammenhang?
Eine Forschungsfrage, mit der man sich möglichen Überschneidungen bei den Entstehungsvorgängen von Migräne und Epilepsie weiter annähern will, ist die nach dem zeitlichen Zusammenhang zwischen epileptischen Anfällen und Migräneattacken. Eine Untersuchung an mehr als 500 Epilepsiepatient:innen ging der Frage nach, in welchem zeitlichen Zusammenhang mit einem epileptischen Anfall Kopfschmerzereignisse auftreten und um welche Art von Kopfschmerz es sich dann handelt. Der größte Teil der untersuchten Personen litt an einer sogenannten „Fokalen Epilepsie“, von der in Deutschland etwa 400.000 Menschen betroffen sind. Bei dieser Epilepsieform entsteht der Anfall in einer begrenzten Region des Gehirns, kann sich dann aber auf das gesamte Gehirn ausweiten.
Bei mehr als drei Vierteln (78%) der Teilnehmenden traten die Kopfschmerzen nach den epileptischen Ereignissen auf. Etwa 43% berichteten von Kopfschmerz zwischen zwei getrennten Anfällen. Die sogenannten „post-iktalen“ („nach dem Anfall auftretenden“) Kopfschmerzen treten in der Regel innerhalb von drei Stunden nach dem epileptischen Anfall auf und können bis zu drei Tage anhalten, in den meisten Fällen ist ihre Dauer aber wesentlich kürzer. Bei den hier untersuchten Patient:innen handelte es sich bei den Kopfschmerzattacken in der Mehrzahl um Spannungskopfschmerz (ca. 35%). Etwa 12% der Betroffenen hatten Migräneattacken.
Worauf beruht der zeitliche Zusammenhang?
Bei der Frage, wie es zu diesem zeitlichen Zusammenhang von epileptischen Anfällen und Kopfschmerzattacken kommt, betreten wir einmal mehr das Feld der Spekulation. Die Ursachenforschung hat bislang lediglich mögliche Faktoren gefunden, die in dem zugrundeliegenden Pathomechanismus eine Rolle spielen könnten. Klar scheint zu sein, dass es nach einem epileptischen Ereignis zu einer Gefäßerweiterung im betroffenen Hirnareal kommt. Dass die damit einhergehende Veränderung des Blutflusses zur Auslösung einer Migräneattacke beiträgt, halten Forschende für möglich.
Eine sichere gemeinsame Grundlage bei Migräne und Epilepsie scheint die bereits erwähnte Übererregbarkeit in der Hirnrinde zu sein. Dadurch könnte in bestimmten Fällen das eine Ereignis das andere nach sich ziehen oder zumindest begünstigen. Manche Wissenschaftler:innen halten zudem eine Beteiligung des Trigeminus-Nervs für möglich, der weite Teile des Gesichtes versorgt und dem schon länger zumindest in der Entstehung von Migräneattacken eine wesentliche Rolle zugeschrieben wird. Vermutlich gibt es – wie beschrieben – genetische Faktoren, die bei beiden Krankheiten gleichermaßen vorhanden und ursächlich oder moderierend am Krankheitsgeschehen beteiligt sind. Worin sich die Forschenden einig sind: Um ein klares Bild von sämtlichen zugrundeliegenden Zusammenhängen zu bekommen, ist noch eine Menge an Forschungsarbeit nötig.
Veröffentlicht: Oktober 2025
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Literatur
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