Wasser gegen Kopfschmerz – ein gutes Rezept
Wasser gegen Kopfschmerz – ein gutes Rezept
Zu den klassischen Maximen der Kopfschmerzprävention gehört der Aufruf zum regelmäßigen Trinken. Damit ist natürlich nicht der tägliche Konsum von Alkohol gemeint, sondern die ausreichende Versorgung des Körpers mit Flüssigkeit. Kopfschmerzexpert*innen empfehlen – neben anderen Präventionsmaßnahmen –, zur Vorbeugung von Kopfschmerzen und Migräne über den Tag verteilt etwa 1,5 Liter zu trinken. Doch worauf stützt sich diese Grundregel eigentlich?
Kopfschmerzen durch Dehydrierung?
Der britische Neurologe Joseph N. Blau war einer der ersten Wissenschaftler*innen, die das Phänomen des „water deprivation headache“ beschrieben. Im Jahre 2003 konnte er in einer Studie einerseits zeigen, dass sich durch eine mangelhafte Versorgung des Körpers mit Flüssigkeit tatsächlich Kopfschmerzen einstellen können. Andererseits beobachtete er, dass sich die so ausgelösten Kopfschmerzen bei den Proband*innen durch Flüssigkeitszufuhr wieder beseitigen ließen: Tranken die Proband*innen einen halben Liter Wasser, hatten sich ihre Kopfschmerzen nach durchschnittlich 20 Minuten wieder gelegt. Als Begleiterscheinung der durch Dehydrierung ausgelösten Kopfschmerzen konnten Konzentrationsprobleme, Schwindel, Reizbarkeit und Blässe ausgemacht werden.
„Water deprivation headache“ ist kein eigenständiger Kopfschmerz
Dem Vorschlag, „water deprivation headache“ als eigene Kopfschmerzart in die ICHD-Liste der primären Kopfschmerzerkrankungen aufzunehmen, wurde nicht gefolgt. Die ICHD („International Classification of Headache Disorders”) ist eine detaillierte Klassifikation sämtlicher Kopfschmerzerkrankungen, die seit 1988 von der „International Headache Society“ veröffentlich wird. Sie ist das Standardwerk für Forscher*innen und Kliniker*innen bei der Einordnung von Kopfschmerzen. Jeder Kopfschmerzerkrankung sind diagnostische Kriterien zugeordnet, um eine genaue Abgrenzung zu ermöglichen. Die aktuelle Auflage der internationalen Kopfschmerzklassifikation (ICHD-3) enthält keinen spezifischen Kopfschmerz, der auf Dehydrierung zurückzuführen ist.
Dehydrierung als Migränetrigger
Dass Dehydrierung für die Migräne ein klassischer Trigger ist, gilt in der Forschung als unbestritten. Zwei Jahre nach seiner ersten Studie konnte Joseph N. Blau nachweisen, dass eine ungenügende Flüssigkeitsversorgung des Körpers bei der Entstehung von Migräneattacken ein entscheidender Faktor sein kann. Mehr als ein Drittel der von ihm untersuchten Betroffenen gab an, dass unzureichendes Trinken ein persönlicher Migränetrigger sei. In der Folge dieser Untersuchung konnten weitere Studien den Zusammenhang bestätigen, der bis dahin in der Forschung noch nicht eingehend behandelt worden war. Eine iranische Studie von 2020 beispielweise konnte zeigen, dass bei ihren Proband*innen die Anzahl und die Dauer der Migräneattacken in einem umgekehrten Verhältnis zur Trinkmenge stand: Je mehr Getränke die Proband*innen zu sich nahmen, desto weniger Beschwerden verzeichneten sie.
Interessantes Szenario: Fasten
Ein für solche Studien besonders interessantes Szenario bildet der muslimische Fastenmonat Ramadan. Muslim*innen, die die jährliche Fastenzeit einhalten, essen und trinken in dieser Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang überhaupt nichts. Je nach Jahreszeit und Region kann die tägliche Fastenzeit mitunter über 18 Stunden andauern. Eine Untersuchung an einer neurologischen Klinik in Israel (2010), an der überwiegend weibliche Patienten (75%) teilgenommen haben, brachte deutliche Befunde: Während der Fastenzeit war die Anzahl der Migränetage bei den Teilnehmer*innen dreimal so hoch wie im Kontrollmonat. Der Autor der Studie sieht einen Zusammenhang mit der unzureichenden Wasserversorgung und dokumentiert eine starke Einschränkung der Lebensqualität, die die Betroffenen durch die Beschwerden erfahren. Viele Studien sind sich einig, dass Fasten, das gänzlich auf Flüssigkeitsaufnahme verzichtet, über den Tag hinweg unweigerlich zur Dehydrierung der Fastenden führen muss. Neben Kopfschmerzbeschwerden sind die Häufung von Schlaf- und Stimmungsstörungen, Reizbarkeit und Abgeschlagenheit typische Folgen. Berücksichtigt man außerdem die Tatsache, dass überhaupt, aber vor allem für Migränebetroffene die ausreichende Energieversorgung des Gehirns durch regelmäßige Mahlzeiten für die Prävention von Attacken von großer Wichtigkeit ist, zeigen sich die besonderen Herausforderungen, die mit dem Einhalten langer Fastenzeiten verbunden ist.
Schon eine milde Dehydrierung beeinträchtigt kognitive Prozesse
Dehydrierung kann, so zeigt sich in allen genannten Studien, nicht nur zu Kopfschmerzen und Migräneattacken führen, sondern auch weitere Effekte auf körperliche Funktionen haben. Vor allem kognitive Defizite sind eine häufige Folge. Untersuchungen zeigen, dass schon eine milde Dehydrierung eine Minderdurchblutung des Gehirns mit sich bringt, was die kognitiven Prozesse merklich beeinträchtigt. Die Gefahr der Dehydrierung besteht besonders bei älteren Menschen: Empfohlene Trinkmengen werden von ihnen oft nicht eingehalten, was zusätzliche Schwächung, Abgeschlagenheit oder Orientierungsprobleme zur Folge haben kann.
Erklärungshypothesen: Was passiert bei Dehydrierung genau im Gehirn?
Die genaue Pathophysiologie, die sowohl dem Entstehen von Kopfschmerzen als auch dem Auslösen von Migräneattacken durch Dehydrierung zugrunde liegt, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Eine Hypothese geht davon aus, dass ein Wasserdefizit zu einer venösen Gefäßbelastung im Gehirn führt („dural venous stretching“), woraufhin es zu Kopfschmerzen kommt. Wird das Wasserdefizit behoben, wird nach diesem Erklärungsansatz das normgerechte Gefäßvolumen wieder hergestellt, was auch das Kopfschmerzsymptom behebt. Ein zweiter diskutierter Ansatz nimmt an, dass die zu geringe Flüssigkeitsaufnahme zu einer sogenannten „Hypertonizität“ im Blut führt: Die im Blut vorhandenen Stoffe sind dadurch in verhältnismäßig zu wenig Flüssigkeit gelöst, d.h. höher konzentriert als ‚vorgesehen‘. Das hat dieser Erklärung nach zur Folge, dass dem umliegenden Gehirngewebe auf osmotischem Weg Wasser entzogen wird, um die normale Konzentration wiederherzustellen. Insgesamt stellt sich so ein Volumenverlust im Hirngewebe ein, wodurch es zu mechanischen Reibungsereignissen an den schmerzempfindlichen Hirnhäuten und deren Blutgefäßen kommt. Hieraus entstehen Kopfschmerzen.
Korrelation Dehydrierung–Kopfschmerz ist eindeutig
Auch wenn die Entstehung der Kopfschmerzen und Migräneattacken aufgrund von Dehydrierung noch nicht genau erklärt werden kann, zeigt die Forschungslage eindeutig, dass ein Zusammenhang besteht. Eine wichtige Säule der Kopfschmerz- und Migräneprävention sollte daher stets das regelmäßige und ausreichende Trinken sein. Da schon milde Dehydrierungen einen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit des Gehirns haben, gilt es, selbst geringe Unterversorgungen zu vermeiden. Wer sich im Alltag schwer damit tut, regelmäßig ans Trinken zu denken, kann sich zum Beispiel im Handy Benachrichtigungen einstellen, die zu gegebener Zeit daran erinnern. Es gibt auch spezielle Apps, mit denen man überwachen kann, wie viel man trinkt. Die Headache Hurts-App z.B. hat eine Funktion, mit der man das eigene Trinkverhalten überprüfen und es außerdem in Zusammenhang mit seiner Kopfschmerzbelastung stellen kann. Auch Erinnerungen an regelmäßige, über den Tag verteilte Trinkeinheiten lassen sich einstellen. Es gilt in jedem Fall: Ein gut hydrierter Kopf ist Trumpf in der Kopfschmerzprävention.
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LITERATUR
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