Wenn Licht wehtut – Photophobie und Migräne
Wenn Licht wehtut – Photophobie und Migräne
Wer eine Migräneattacke hat, meidet das Licht. Oft bleibt einem nichts anderes übrig, als sich ruhig in einen abgedunkelten Raum zu legen und abzuwarten, bis die Attacke vorüber ist. Zwischen der Photophobie oder der Lichtscheu, wie sie auch genannt wird, und der Migräne gibt es einen engen Zusammenhang. Migräne ist eine der wichtigsten Ursachen von starker Lichtempfindlichkeit. Außerdem gibt es Migränebetroffene, bei denen Licht eine Attacke auslösen kann. Was weiß man über das Phänomen der Photophobie und wie lässt sich der Zusammenhang mit der Migräneerkrankung erklären?
Geschichte einer Entdeckung: Photophobie im alten Griechenland
Photophobie bedeutet wörtlich „Angst vor Licht“ (griechisch phos, photos: Licht; phobos: Angst). Gemeint ist eine starke Lichtempfindlichkeit: eine sensorische Störung, die durch Licht hervorgerufen wird. Die erste Beschreibung der Photophobie, die wir kennen, stammt von Aretaios von Kappadokien (ca. 30–90 n. Chr., anderen Quellen zufolge ca. 80–130 n. Chr.), einem griechischen Arzt und Vertreter der Lehren des berühmten medizinischen Urvaters Hippokrates.
Aretaios war wahrscheinlich selbst von Migräne betroffen und entdeckte den Zusammenhang zwischen Lichtreizen und dem Auftreten von Migräneattacken. Er war einer der Ersten, die unterschiedliche Kopfschmerzarten beschrieben. Seine Darstellungen des Kopfschmerzes und weiterer neurologischer Störungen waren so exakt und kenntnisreich, dass er manche Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts vorwegnahm.
Stand heute: Was ist Photophobie?
Viele Jahrhunderte medizinischer Wissenschaft später, vor etwa 90 Jahren, beschrieb James E. Lebensohn die sogenannte „echte Photophobie“ so: „Wird das Auge dem Licht ausgesetzt, so kommt es zwangsläufig zur Entstehung oder Verstärkung von Schmerz“.
Diese strenge Definition der Photophobie wurde in der Folgezeit relativiert. Man spricht heute etwas abgeschwächter auch von einer „unangenehmen Empfindung ohne Schmerz, die durch starke oder als zu stark empfundene Helligkeit ausgelöst wird“. Es gibt also Photophobie-Betroffene, bei denen durch Licht zwar kein Schmerz im engeren Sinne hervorgerufen wird, die aber trotzdem das starke Bedürfnis haben, einen abgedunkelten Raum aufzusuchen. Auch diese Art der lichtbedingten Störung des Wohlbefindens wird als Unterform der Photophobie angesehen.
Der Photophobie kann man drei Phänomen-Komplexe zuordnen, die teilweise fließend ineinander übergehen oder sich gegenseitig verstärken:
1. Licht-induzierte Verstärkung von Kopfschmerz
2. Besonders intensive Wahrnehmung von Helligkeit
3. Visuell bedingtes Unbehagen/Unwohlsein
Warum sind Migränebetroffene besonders lichtempfindlich?
Bis zu 80% der Migränepatient*innen sind von Lichtempfindlichkeit betroffen. Sie besteht dann häufig sowohl während der Attacken als auch dazwischen. Außerdem kann Licht bei vielen Betroffenen eine Migräneattacke auslösen.
Die Beobachtung, dass viele Migränepatient*innen auch zwischen den Attacken besonders lichtempfindlich sind, ließ sich in einer Studie mit dem bildgebenden Verfahren der Positronen-Emissions-Tomographie untermauern: Die erhöhte Empfindlichkeit der Patient*innen zeigte sich als verstärkte Aktivität im visuellen Cortex (der Sehrinde). Es wird außerdem angenommen, dass ein übererregbarer visueller Cortex nicht in der Lage ist, sich an starke visuelle Reize zu gewöhnen (sondern stets gleich stark reagiert).
Interessant ist, dass sich diese besonders hohe Erregbarkeit nicht nur auf den visuellen Cortex beschränkt zeigte, sondern auch andere sensorische Cortexregionen betraf, die an der Wahrnehmung von Schmerz, Geräuschen, Gerüchen und Geschmack beteiligt sind. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die übererregbaren Hirnareale bei Migränebetroffenen auch für eine Reihe von Triggerfaktoren in diesen Bereichen der Wahrnehmung verantwortlich sein könnten.
Aktuelle Theorien: Wie führt Licht zum Migränekopfschmerz?
Wie kommt es nun aber von der Lichtempfindlichkeit zum Schmerz? Wie genau kann der Migränekopfschmerz durch besondere Lichtbelastung ausgelöst werden? Es gibt einige Theorien dazu, wie sich der Migränekopfschmerz aus der Lichtempfindlichkeit herleiten lässt. Allerdings hat man bis heute keine abschließende Erklärung, auf die sich alle Mediziner*innen einigen können. Vermutlich sind mehrere, hauptsächlich neuronale Strukturen und Mechanismen involviert.
Lichtreize, Trigeminus und Botenstoffe
Eine Theorie geht davon aus, dass spezielle Rezeptoren in der Retina (Netzhaut) Signale auslösen, die das sogenannte trigemino-vaskuläre System aktivieren, was zu einer Schmerzwahrnehmung führt.
Folgende Vorgänge sind möglicherweise an diesem Prozess beteiligt:
1. Die aktivierten retinalen Rezeptoren könnten unmittelbar die Schmerzauslösung im Trigeminus herbeiführen.
2. Die Rezeptoren stehen in Verbindung mit Nervenzellen im Zwischenhirn, die ihrerseits Ausläufer bis in die Hirnhäute (Dura mater) besitzen. Entsprechende Reize könnten sich dort in einer Gefäßerweiterung und Permeabilitätserhöhung äußern und entzündliche Prozesse anstoßen.
Das aktivierte trigemino-vaskuläre System produziert hierbei einen Botenstoff (ein Neuro-Peptid), der eine Wirkung auf die Schmerzwahrnehmung ausübt und außerdem gefäßerweiternd wirkt. Es ist das sogenannte Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP). Eine Erweiterung der Hirngefäße durch diesen Entzündungsmediator wird schon länger als ein wesentlicher Schritt in der Entstehung von Migräne angesehen. In diesem Kontext ist ein Forschungsergebnis besonders interessant: Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass bei Mäusen die Injektion von CGRP photophobe Reaktionen auslöst.
3. Der Botenstoff CGRP selbst könnte eine verstärkende Wirkung auf die Schmerzwahrnehmung ausüben.
Die Forscher*innen vermuten, dass diese verschiedenen Mechanismen miteinander in enger Wechselwirkung stehen. Zudem sind möglicherweise noch weitere Signalwege beteiligt, die bisher nicht aufgeklärt sind.
Kann man sich vor Lichtreizen schützen?
Genau so heiß wie die Theorien zur Lichtempfindlichkeit von Migränepatient*innen werden auch mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Lichtbelastung diskutiert. Ein Ansatz ist, den Reiz-auslösenden Lichteinfall (oder den Lichtanteil, der für den Reiz verantwortlich ist) zu vermindern. Geschulte Optiker*innen können z.B. Brillen mit speziell veredelten und entspiegelten Gläsern versehen, die den Lichteinfall und die Reflexionen von Oberflächen wie Wasser, Schnee oder Sand reduzieren. Zudem gibt es Brillengläser, die besonderen Schutz gegen die aggressiven UV-Strahlen des Sonnenlichts und das unangenehme blau-violette Licht digitaler Geräte bieten. Polarisierende Brillengläser reduzieren vor allem die Reflexionen im hellen Sonnenlicht.
Auch kann es hilfreich sein, die Glühbirnen zu Hause durch solche auszuwechseln, die sogenanntes „warmweißes“ Licht produzieren. Die „Lichttemperatur“ sollte dabei zwischen 2000 und 3000 Kelvin liegen – meist werden 2700 Kelvin als angenehm empfunden.
Migräneprävention ist ganzheitliche Prävention: Stressabbau, guter Schlaf und Bildschirmpausen
Erfolgreiche Migräneprävention erfordert immer einen ganzheitlichen Blick auf die vielseitigen Zusammenhänge der Krankheit. Oft beeinflussen die verschiedenen Triggerfaktoren sich untereinander (mehr zu den verschiedenen Faktoren findest du hier) – so zeigt sich, dass Stress und Schlafmangel die Lichtempfindlichkeit von Migränebetroffenen verstärken. Stress im Alltag lässt sich nicht immer effektiv vermeiden. Man kann aber für Ausgleich sorgen, indem man seinen Tagesablauf bewusst so gestaltet, dass immer wieder Zeit für Entschleunigung ist (Hier gibt es mehr Informationen zum Zusammenhang von Stress und Migräne). Regelmäßiger, erholsamer Schlaf ist ebenfalls einer der Kernbereiche der Migräneprävention. Es lohnt sich also, ein Auge auf die eigenen Schlafgewohnheiten zu werfen und auszuloten, wie man zugunsten seines Kopfes für ein gesundes Gleichmaß sorgen kann (Hier findest du mehr zum Thema Schlaf und Kopfschmerz). Ein weiterer Ansatzpunkt ist die tägliche Bildschirmzeit: Durch Arbeit am Computerbildschirm oder das Nutzen von Handys, Tablets etc. kann Lichtempfindlichkeit verstärkt werden. Es ist immer einen Versuch wert, die tägliche Bildschirmzeit zu reduzieren und regelmäßige Pausen einzulegen, in denen man nicht auf den Bildschirm schaut (mehr dazu hier). Also: Hab Mut, dich dieser Herausforderung zu stellen. Je besser du deine Migräne kennst, desto besser kannst du sie bekämpfen. Die Forschung bleibt dran, wir bleiben gespannt!
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Literatur
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Albilali A, Dilli E. Photophobia: When Light Hurts, a Review. Curr Neurol Neurosci Rep. 2018 Jul 30;18(9):62. doi: 10.1007/s11910-018-0864-0. PMID: 30058044.
Lebensohn JE, Bellows J. The nature of photophobia. Arch Ophthalmol. 1934;12(3):380–90.
Lebensohn JE. Photophobia: mechanism and implications. Am J Ophthalmol. 1951 Sep;34(9):1294-1300. doi: 10.1016/0002-9394(51)91866-1. PMID: 14877953.
Noseda R, Burstein R. Advances in understanding the mechanisms of migraine-type photophobia. Curr Opin Neurol. 2011 Jun;24(3):197-202. doi: 10.1097/WCO.0b013e3283466c8e. PMID: 21467933; PMCID: PMC4502959.
Noseda R, Copenhagen D, Burstein R. Current understanding of photophobia, visual networks and headaches. Cephalalgia. 2019 Nov;39(13):1623-1634. doi: 10.1177/0333102418784750. Epub 2018 Jun 25. PMID: 29940781; PMCID: PMC6461529.
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