Wetter und Kopfschmerz: Was sagt die neueste Forschung?
Wetter und Kopfschmerzen: Was sagt die neueste Forschung?
Dass viele Kopfschmerzbetroffene einen direkten Zusammenhang zwischen dem Wetter und ihren Beschwerden wahrnehmen, haben wir vor einiger Zeit in diesem Artikel beschrieben. Es hatte sich gezeigt: Obwohl dem Wetter oft ein großer Einfluss zugeschrieben wird, konnte die Forschung bisher keine zugrunde liegenden Mechanismen belegen. So zeigen unterschiedliche Forschungsansätze widersprüchliche Ergebnisse und können auch den persönlichen Eindruck der Betroffenen oft nicht abbilden. Was hat sich hier in der Zwischenzeit getan? Gibt es neue, belastbare Erkenntnisse, die Licht ins Dunkel bringen?
Big Data und KI aus Japan – ein Weg zur sicheren Erkenntnis?
Eine umfangreiche japanische Studie aus dem Jahr 2023 hat sich Hilfe bei künstlicher Intelligenz gesucht, um der Frage nach dem Zusammenhang von Wetter und Kopfschmerz beizukommen. Über eine Smartphone-Anwendung haben die Forscher:innen von einer großen Zahl von Nutzer:innen (1 Mio.) eine Datensammlung mit Informationen ihrem Kopfschmerz-Geschehen erstellt. Diese Daten wurden mit einer Vielzahl von Wetterdaten in eine Korrelation gebracht und auf etwaige Zusammenhänge hin untersucht. Die Teilnehmer:innen setzten sich aus Betroffenen mit diagnostizierter Migräne sowie Nicht-Migräne-Kopfschmerz zusammen. Ausgewertet wurde mit einer Software für sogenannte „Big Data“-Analysen, die mit KI-Unterstützung die Untersuchung auf alle denkbaren Korrelationen erlaubt. In die Studie gingen schließlich Kopfschmerz-Informationen von etwa 4.400 Proband:innen ein, mehr als 330.000 Kopfschmerzereignisse wurden zu verschiedenen Wetter-Faktoren ins Verhältnis gesetzt.
Zeitlicher Zusammenhang ohne schlüssige Erklärung
Das Ergebnis: Eine Reihe von zeitlichen Assoziierungen zwischen Wetterphänomenen und dem Kopfschmerz-Geschehen der Betroffenen kann als wahrscheinlich gelten. Demnach spielten niedriger Luftdruck und hohe Luftfeuchtigkeit sowie Regen eine kopfschmerzfördernde Rolle: Waren diese Wetterbedingungen gegeben, erhöhte sich die Anzahl der berichteten Kopfschmerz-Attacken. Besonders auffällig war das Phänomen eines sinkenden Luftdrucks vor und während der Attacken. Diese Resultate knüpfen an ähnliche Befunde früherer Untersuchungen an, bei denen ebenfalls ein starker Effekt akuter Veränderungen der Wetterlage beobachtet wurde. Die Beobachtungen deuten darauf hin, dass der Organismus vieler Menschen durch Veränderungen der Wetter-Parameter besonderen Belastungen ausgesetzt ist.
Zum genauen Wirkmechanismus, der dieser Korrelation zugrunde liegt, ist allerdings nichts Gesichertes greifbar. Es gibt zwar Befunde, wonach sich die Faktoren Feuchtigkeit, Kälte und Regen über eine Wirkung auf den Hypothalamus in das Kopfschmerz-Geschehen einschalten und beispielsweise zu Triggern für Migräne werden können. Dennoch betonen die Autor:innen der japanischen Studie, dass es sehr schwierig ist, aus solchen Zusammenhängen eine schlüssige Hypothese darüber abzuleiten, welche Wirkmechanismen für die Signalverarbeitung bis hin zur Attacke verantwortlich sein könnten.
Die Forschungslage ist weiterhin ergänzungsbedürftig
Eine Arbeit ungarischer Forscher:innen aus dem Jahr 2023 versucht, einen Überblick über die vorhandene Forschungslage zum Thema Wetter und Kopfschmerz zu geben und kommt zu dem Schluss, dass es die höchst uneinheitliche methodische Vorgehensweise der verschiedenen Studien deutlich erschwert, einheitliche Folgerungen ableiten zu können. Sie teilen die Einschätzung der japanischen Autor:innen, dass es bisher keine Untersuchungen gibt, die schlüssig zeigen konnten, über welche Mechanismen sich die Wahrnehmung von Wetterphänomenen auf den Organismus auswirkt.
Geomagnetismus als kopfschmerzrelevante Größe?
Einige Untersuchungen wagen die Hypothese, dass sogenannte „geomagnetische Aktivitäten“ so auf den Organismus einwirken, dass sich dies bei verschiedenen Kopfschmerzerkrankungen als Trigger auswirken könnte. All diesen Spekulationen fehlt allerdings eine Erklärung, wie dies genau vonstatten gehen könnte. Es konnte bisher schlicht kein Organ oder Hirnareal gefunden werden, das eine solche Funktion hätte – wie es etwa für unsere Sinnesorgane und die Reize besteht, die durch diese wahrgenommen und umgesetzt werden.
Luftdruck, Umgebungstemperatur und Kopfschmerzen: Welche Mechanismen sind bekannt?
Der uns schon aus der japanischen Studie bekannte Luftdruck spielt auch bei einigen Arbeiten, die sich die Autor:innen der ungarischen Übersichtsstudie vorgenommen haben, eine Rolle, außerdem wird die Umgebungstemperatur wiederholt als möglicher Faktor durchgespielt – allerdings nicht mit abschließend belastbaren Erkenntnissen. Immerhin konnte für bestimmte Nervenbahnen – beispielsweise im Bereich von Gelenken – gezeigt werden, dass ihre Funktion von Temperatur- und Druckverhältnissen beeinflusst wird. Auch fand man in Tierstudien in bestimmten Modellen von neurologischen Schmerzen einen Einfluss des Luftdrucks auf die Schmerzempfindlichkeit. Dennoch fehlen Vorstellungen, wie solche Einzelbefunde in das komplexe Geschehen bei Kopfschmerzerkrankungen einzuordnen sind.
Hat das Wetter einen Einfluss auf Entzündungsprozesse im menschlichen Körper?
Eine weitere Spur führt zu entzündlichen Prozessen, denen bei der Entstehung von Migräneattacken eine mögliche Rolle zugeschrieben wird. Demnach könnten Schwankungen in Umgebungstemperatur, Druck und Luftfeuchtigkeit Vorgänge befeuern, bei denen es verstärkt zur Bildung von entzündungsfördernden Botenstoffen und zur Aktivierung von Immunzellen kommt. Die Folge wäre die Entstehung von lokal begrenzten Entzündungen in bestimmten Arealen, die sich entweder direkt als Schmerzwahrnehmung äußern oder auch als Trigger für Migräne aktiv werden. Damit zusammenhängend kann man eine Hypothese einordnen, wonach die bekannten Wetter-Variablen sich auf bestimmte Gehirnregionen auswirken, denen man eine Funktion in der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung zuschreibt. Diese Areale beeinflussen darüber hinaus unsere kognitive und mentale Befindlichkeit und spielen eine Rolle bei unserer allgemeinen Stimmungslage, unserem Schmerzempfinden und bei der Auslösung von depressiven Phasen.
Betrachtet man die zahlreichen Einzelbeobachtungen zur Wirkung des Wetters auf unseren Organismus, dann lässt sich festhalten, wie schwierig es sein dürfte, all diese Hinsichten so zusammenzubringen, dass sich eine geschlossene Erklärung ergibt. Auch aktuell müssen wir feststellen, dass hier noch viel Pionierarbeit zu leisten ist.
Sind Wahrnehmungen auch Wahrheiten? Eine psychologische Analyse
Eine US-Studie von 2023 nähert sich der schwierigen Frage, ob und auf welche Weise sich das Wetter auf das Kopfschmerzgeschehen auswirkt, auf einem anderen Weg. Die Studie ist so angelegt, dass sie die Wahrnehmung der Betroffenen, dass das Wetter einen starken Einfluss auf ihre Kopfschmerzen hat, dahingehend hinterfragt, ob dem wirklich persönliches Erleben zugrunde liegt oder die Annahme vielleicht andere Gründe haben mag.
300 Proband:innen sollten auf einer Skala von 0 bis 100% ihre persönliche Einschätzung dazu abgeben, für wie wahrscheinlich sie es halten, dass die Konfrontation mit bestimmten Triggern – wie etwa Wettervorgänge – ein Kopfschmerz-Ereignis nach sich zieht. Die Wetterphänomene erwiesen sich in der Einschätzung der Teilnehmer:innen dabei als diejenigen Triggerfaktoren, für die es besonders durchgehend eine Annahme der Wirksamkeit gab.
Es stellte sich allerdings heraus, dass die Antworten der Teilnehmenden nicht immer auf persönlichem Erleben beruhten. Tiefergehende Nachfragen durch das untersuchende Team ergaben, dass die wiedergegebenen Annahmen zur Triggerwirkung sich eher aus einer Mischung aus „hartnäckigem Hörensagen“ und eigenen Eindrücken (seltener: Erlebnissen) speisten.
Persönliches Erleben vs. tradierte Überzeugungen
Die These, dass Wetter ein potenter Auslöser für Kopfschmerzen verschiedener Art sein kann, scheint eine so große Anerkennung in allen Bevölkerungsgruppen zu besitzen, dass die individuelle Erlebenswelt davon stark überlagert wird. Die Autor:innen äußern die Vermutung, dass im Laufe des Lebens Lernvorgänge stattfinden, die maßgeblich mitbeeinflussen, wie stark bestimmte Trigger in der persönlichen Wahrnehmung als plausibel zugelassen werden. Solche über das Lernen oder tradiertes „Faktenwissen“ erworbenen intrinsischen Kopplungen scheinen immer wirksam zu sein, und zwar unabhängig von der Häufigkeit, mit der die Proband:innen sie tatsächlich in ihrem bisherigen Leben am eigenen Leib erfahren haben.
Fazit der Studie ist, dass die Einschätzung von Wettervorgängen als Auslöser von Kopfschmerzereignissen in erheblichem Umfang auf erlernte, gesellschaftlich oder familiär tradierte Vorstellungen zurückzuführen ist. Viele Menschen scheinen ihre Vorstellungen und Überzeugungen zu diesen Zusammenhängen in hohem Maße aus Berichten oder Vermutungen zu speisen, ohne selbst ein solches Zusammentreffen von Auslöser und Wirkung je erlebt zu haben.
Wir sind noch nicht am Ende der Erklärungen
Trägt man die vorhandenen Ergebnisse der unterschiedlichen Forschungsansätze zusammen und zieht zusätzlich – wie die letztgenannte Studie – noch relevante psychologische Faktoren in Betracht, dann zeigt sich, dass bis heute kein handfester Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Wetterphänomenen und dem Kopfschmerzgeschehen bei Betroffenen erbracht werden konnte. Man kann zwar bestimmte Korrelationen durchaus belastbar nachweisen, aber die Erklärung etwaiger zugrunde liegender physiologischer Mechanismen bleibt die Forschung weiter schuldig. Es bleibt ein spannendes Feld, in dem sich noch viele Forschende verdient machen können und das auch für die Frage der Prävention von Kopfschmerzen noch viele wertvolle Erkenntnisse abwerfen dürfte.
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Literatur
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