Wie unsere Augen uns Kopfschmerzen bereiten können
Wie unsere Augen uns Kopfschmerzen bereiten können
Unsere Wahrnehmung der Welt ist abhängig von einem komplexen Zusammenspiel unseres Gehirns mit den Sinnesorganen. Sinnesreize, die wir über Augen, Ohren, Nase, Mund und auch unsere Haut aufnehmen, werden zu Signalen umgewandelt und vom Nervensystem so verarbeitet, dass sich unser Gehirn ein Bild von unserer Umwelt machen kann.
Beim Sehen geben unsere Augen dem Gehirn permanent Rückmeldung über die optischen Sinnesreize unserer Umgebung. Solange wir wach sind, vergeht keine Sekunde, in der nicht Signale an das Gehirn gesendet werden, die dort zu unseren Eindrücken von der Welt werden: In sehr aufwändigen Rechenvorgängen macht unser Gehirn aus den Informationen, die das Auge bereitstellt, das, was uns als unser Bild der Wirklichkeit bekannt ist. Von diesen Vorgängen bekommen wir in der Regel kaum etwas mit – ein Zeichen dafür, dass Augen und Gehirn reibungslos zusammenarbeiten. Ist der Prozess aber an der ein oder anderen Stelle gestört, kann sich dies bemerkbar machen, zum Beispiel durch Kopfschmerzen.
Wenn das Scharfstellen nicht gelingt
Damit das Auge ein scharfes Bild liefern kann, ist ein komplizierter Vorgang nötig, von dem wir normalerweise nichts mitbekommen. Man nennt diesen Vorgang „Akkomodation“, was man mit „Anpassung“ übersetzen kann. Unsere Augenlinsen sind elastisch und mit winzig kleinen Muskeln verbunden. Diese verändern durch Anspannung oder Erschlaffung die Form der Linsen. So entsteht ein scharfes Bild auf unserer Netzhaut, von nahen wie auch von weit entfernten Gegenständen. Die Befehle zum Scharfstellen kommen vom Gehirn, das die aktuellen Bilder verarbeitet und gegebenenfalls Korrekturen „anordnet“.
Der Vorgang der Akkommodation kann gestört sein, die Ursachen dafür sind vielfältig. Manchmal benötigen die zuständigen Muskeln mehrere Anläufe, um eine scharfe Abbildung zu erreichen. Es kann auch eine zu starke Anspannung der Muskeln vorliegen, dann kommt es zu einer „Über-Akkommodation“ bis hin zu Krampfereignissen in der feinen Muskulatur. Betroffene haben große Schwierigkeiten, Objekte scharf zu sehen. Ein schneller Wechsel zwischen Nah- und Fernsicht ist oftmals nicht möglich oder benötigt viel mehr Zeit als üblich. Weil sowohl die Augenmuskulatur überstrapaziert als auch das Gehirn mit seiner Rechenleistung überfordert ist, sind schmerzende Augen und Kopfschmerzen die Folge.
Wenn man seine Umwelt nicht klar erkennen kann, ist das für Betroffene oft sehr verunsichernd und belastend. Um die Sehstörung so gut wie möglich auszugleichen, müssen Brillen genau auf die jeweilige Sehstörung angepasst sein. Auch sogenannte „Akkomodationsübungen“ werden empfohlen – ein Trainingsprogramm, bei dem die Kooperation beider Augen miteinander geübt wird und die scharfstellende Muskulatur trainiert, um schneller und effektiver für ein einwandfreies Bild zu sorgen. Das kann auch bewirken, dass sich die Fehlsichtigkeit nicht weiter verstärkt.
Augen können sich überanstrengen
Wird eine Fehlsichtigkeit (Kurz- oder Weitsichtigkeit) über eine längere Zeit nicht erkannt, sind die Augen einer ständigen übermäßigen Anstrengung ausgesetzt. Dann kommt es in vielen Fällen fast automatisch zu Kopfschmerzen. Auch wenn sich bei vorhandener Sehhilfe die Sehkraft schleichend verschlechtert, können Kopfschmerzen auftreten. Daher ist es wichtig, dass Betroffene den Zustand ihrer Augen regelmäßig ärztlich überprüfen zu lassen.
Aber auch einwandfrei funktionierende Augen können überfordert sein. Längeres Lesen oder Naharbeiten, die ein sehr genaues Hinsehen und ständig neues Fokussieren erfordern, beanspruchen den Sehnerv stark. Unzureichende Beleuchtung, aber auch zu intensives Licht tragen oft dazu bei, dass es zu Kopfschmerzen kommt.
Der „Konvergenz-Exzess“
Der dramatisch klingende Begriff „Konvergenz-Exzess“ bezeichnet eine nicht optimale Zusammenarbeit der Augen miteinander. Ein zu starkes Zielen („Konvergenz“) beider Augen auf ein nahes Objekt kann dazu führen, dass die/der Betrachter:in dieses unbewusst immer näher an die Augen heranholt. Dabei geraten die Augen in eine Stellung, der dem Schielen sehr ähnlich ist.
Symptome eines Konvergenz-Exzesses treten meist bei länger anhaltender, konzentrierter Einstellung der Augen auf nahe Entfernung auf. Ausdauerndes Lesen auf Papier oder am Bildschirm und auch andere Computerarbeit sind typische Entstehungsszenarien – Alltag an der Hochschule. Weil das System Auge – Gehirn so außerordentlichen Anstrengungen ausgesetzt ist, sind auch hier Kopfschmerzen ein häufiges Symptom. Außerdem wird bei großer Konzentration auf die Sache oft nicht bemerkt, wenn zusätzlich Kopf, Hals und Schultern in Fehlhaltungen ausgerichtet sind. Langes Verharren in ungünstigen Haltungen verursacht muskulären Stress, der wiederum Kopfschmerzen auslösen kann.
Trockenes Auge und Kopfschmerzen
Manchen Viel-Leser:innen ist außerdem das „Dry Eye Syndrome (DES)“ bekannt, das auch mit dem etwas sperrigen Begriff „Keratoconjunctivitis sicca“ (kurz KCS, von lateinisch siccus, ‚trocken‘) belegt ist. Wenn das Auge mit Tränenflüssigkeit unterversorgt ist, kommt es zu einem Gefühl von Trockenheit, Brennen, Juckreiz, zu Schmerzen und auch zu Sehstörungen. Trockene Augen verursachen auch Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindelgefühl.
Umgekehrt gilt aber auch: Kopfschmerzerkrankungen tragen in erheblichem Maße dazu bei, dass sich ein Trockenes Auge entwickelt. Dies konnte in einer umfangreichen Meta-Analyse mit einer vergleichenden Auswertung von 11 Studien gezeigt werden. Es wurde ermittelt, bei welchem Anteil der Patient:innen mit Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp und Cluster-Kopfschmerz zusätzlich ein Trockenes Auge auftrat. Das Risiko war bei Migränebetroffenen am höchsten, gefolgt von Menschen mit Cluster-Kopfschmerz. Aber auch Spannungskopfschmerz-Patient:innen hatten überdurchschnittlich oft die Diagnose DES.
Wenn „Schnee“ den Blick trübt
Das sogenannte „Visual-Snow-Syndrom (VSS)“ ist eine Sehstörung, bei der ein Großteil der Betroffenen zugleich unter Migräne leidet. Patient:innen beschreiben eine Art Bildrauschen („Visual Snow“) in ihrem Gesichtsfeld: Sie sehen viele kleine Partikel, Flusen oder Punkte, die sich wie ein Schneegestöber über das vom Auge geliefert Bild bewegen. Weil Das Visual-Snow-Syndrom so oft gepaart mit der Migräne auftritt, rechnete man dieses Phänomen früher den Sehbeeinträchtigungen zu, die während einer Migräne-Aura auftreten. Dies hat sich in neueren Forschungen allerdings nicht bestätigt. Zwar kann sowohl beim VSS als auch bei der Migräneaura eine übermäßige Erregbarkeit der Nervenzellen der Hirnrinde nachgewiesen werden, was möglicherweise auf ähnliche pathophysiologische Ursachen zurückzuführen ist. VSS wird aber trotzdem als eigenständiges neurologisches Krankheitsbild eingeordnet, seine Symptome können über die Erscheinungen einer Migräneaura hinausgehen.
Betroffene berichten zum Beispiel über stark eingeschränktes Nachtsehen. Auch können Doppelbilder oder sogenannte „Nachbilder“ auftreten, eine Bildwahrnehmung von Objekten, die sich aktuell gar nicht mehr im Gesichtsfeld befinden. In der Folge kommt es häufig zu Schwindelgefühl und Kopfschmerzen. Durch die Trugbilder wird dem Gehirn eine gewaltige Arbeitsleistung abverlangt, die seine Ressourcen an den Rand der Erschöpfung bringen.
Die Forschung zu Behandlungsmöglichkeiten dieser enorm belastenden Erkrankung steht noch am Anfang. Grund zur Zuversicht ergibt sich aus neueren, nicht-medikamentösen Behandlungsansätzen aus dem Bereich der „Achtsamkeitsbasierten Kognitiven Therapie (mindfulness-based cognitive therapy/MBCT)“. Diese relativ junge Therapiemethode kombiniert Elemente der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion mit der Kognitiven Verhaltenstherapie, die schon länger auch bei der Vorbeugung und Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen erfolgreich eingesetzt wird. Hier stehen die Forschungen allerdings am Anfang, bisher werden die meisten Betroffenen noch nicht erfolgreich behandelt.
Wo liegt der Schmerz?
Oft ist es nicht einfach, klar zwischen Augen- und Kopfschmerzen zu unterscheiden. Wenn Betroffene zum Beispiel beschreiben, dass sie ihre Kopfschmerzen „hinter dem Auge“ wahrnehmen, kann es sein, dass die Ursache eigentlich Augenschmerzen sind. Schmerzende Augen können aus vielen Gründen auftreten. Bereits kleinste Verletzungen der Hornhaut führen zu einem starken Schmerzgefühl und auch allergische Reaktionen verursachen neben Juckreiz und Rötung oft Schmerzen in den Augen. Auch denkbar sind entzündliche Erkrankungen von Augenmuskeln oder anderen Teilen des Auges, etwa der Iris, der Augenlider oder der Lederhaut, die den Augapfel umgibt (die sogenannte Sklera).
Die räumliche Nähe von Auge und Gehirn und die besonders ausgeprägte Wechselwirkung zwischen dem Sinnesorgan und dem zentralen Nervensystem könnten die Gründe für eine Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit sein, die schließlich zu Kopfschmerzen führt. Dabei werden sowohl die körpereigenen, Schmerz verstärkenden Übertragungswege angeregt als auch die schmerzhemmenden Signalwege geschwächt.
Was kann man tun, und wie?
Wer mit einer Sehbeeinträchtigung lebt, sollte regelmäßig ärztlich kontrollieren lassen, wie sich seine Augen entwickeln und sollte Sehhilfen, wenn vorhanden, anpassen lassen. So kann man auf etwaige Veränderungen zeitnah reagieren und gegebenenfalls Verschlechterungen zuvorkommen. Menschen, die Sehbeschwerden haben und die Ursache dafür nicht kennen, sollten immer eine/n Fachärzt:in aufsuchen, um eine genaue Diagnose zu erhalten.
Um eine Überlastung der Augen im Alltag zu verhindern, ist es – unabhängig davon, ob die Sicht beeinträchtigt ist oder nicht – wichtig, den Augen immer wieder die Möglichkeit zu geben, sich zu regenerieren. Wer z.B. beim Lesen auf Papier oder am Bildschirm viel auf kurze Distanz scharfstellen muss, sollte diese Tätigkeit immer wieder unterbrechen und einen Ausgleich schaffen. Zwischendurch in die Ferne zu gucken, zum Beispiel aus dem Fenster, entlastet die Sehnerven und stimuliert andere Regionen der feinen Augenmuskulatur. Auch für einige Momente die Augen zu schließen und langsam ein- und auszuatmen kann sehr erholsam sein.
Es ist außerdem wichtig, sich den Arbeitsplatz so einzurichten, dass die Bedingungen für die Augen so gut wie möglich sind. Die Entfernung des Bildschirms sollte optimal eingerichtet sein – auch wenn man unterwegs am Laptop arbeitet – und wer im Buch liest, sollte sich immer wieder ermahnen, die Schrift nicht zu nah ans Auge zu holen. Entscheidend ist auch eine angemessene Beleuchtung. Tageslicht wird oft als angenehmer empfunden als künstliches Licht. Je nach Wetterlage können hier die Lichtverhältnisse aber schnell wechseln, was die Augen wiederum stark beansprucht. Die Beleuchtung sollte generell nicht zu dunkel sein, damit Inhalte gut erkennbar sind. Eine zu helle Beleuchtung kann aber wiederum vor allem für Migränebetroffene eine Belastung sein, einige Betroffene reagieren besonders auf das flackernde Licht von Neonröhren.
Wer herausfindet, auf welche Faktoren er oder sie besonders stark reagiert, kann versuchen, hier ein paar Anpassungen im Alltag vorzunehmen. Regelmäßige Pausen bleiben unerlässlich, wer sich hierfür eine Hilfestellung wünscht, kann sich zum Beispiel von der Headache Hurts-App daran erinnern lassen, immer wieder kurze Auszeiten zu nehmen. Wer seine Arbeitshaltung unterbricht, den Augen Gelegenheit zur Erholung gibt und auch Schulter, Nacken und den Rest des Körpers kurz entlastet, kann Kopfschmerzen vorbeugen. Wenn wir uns besonders konzentrieren, bemerken wir oft nicht, wie lange wir schon unbewegt auf einen bestimmten Bereich starren. Regelmäßiges Räkeln und Strecken entlastet die angespannte Muskulatur.
Auch bewusste, längere Entspannungsphasen mit geschlossenen Augen helfen der Regeneration von Augen und Kopf. Die progressive Muskelrelaxation hat sich in der Praxis besonders bewährt. Auf der Homepage und in der App findet sich eine kurze Version, die man gut in den Alltag integrieren kann. Regelmäßige Bewegung, gern an der frischen Luft, hilft der Entspannung des Nervensystems und schafft auch für die Augen Gegenreize zur Arbeit auf kurze Distanz. Wer diese Dinge nach und nach in seinen Alltag integriert, kann viel für Augen und Kopf tun.
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