Wieviel Schlaf ist gesund?
Wieviel Schlaf ist gesund?
Wie wir im Rahmen der Kampagne „HEADACHE HURTS“ erfahren haben, liefert regelmäßiger, ungestörter Schlaf von etwa sieben Stunden Dauer gerade bei Migränepatienten einen wertvollen Beitrag, wenn es darum geht, den gefürchteten Kopfschmerzattacken vorzubeugen oder sie zumindest nicht unnötig zu begünstigen.
Wieviel Schlaf aber ist grundsätzlich empfehlenswert, um unsere Aufnahme- und Leistungsfähigkeit sowie unser Wohlbefinden über den Tag hinweg sicherzustellen? Kann man auch zu viel schlafen? Wie wirkt sich die Schlafmenge auf unser Wohlbefinden aus?
Den Schlafforscher Conor Wild von der Western University im kanadischen Ontario trieben diese Fragen so sehr um, dass er sich eingehend damit beschäftigte. Um der Antwort auf die Spur zu kommen, initiierte er eine Studie mit mehr als 10 000 Menschen. Die Teilnehmer füllten ein umfangreiches Online-Formular aus, in dem sie Auskunft über ihr Schlafverhalten, ihren Gesundheitszustand, Bildungsgrad und viele weitere Faktoren gaben. Hernach durchliefen die Probanden eine Kombination aus 12 standardisierten, für diesen Zweck konzipierten Tests (Spiele, Rätsel, Puzzles sowie spezielle Assoziationsübungen). Mithilfe dieser Untersuchungen wurden etliche kognitive Fähigkeiten beurteilt, darunter logisches Denkvermögen, räumliches und kurzzeitiges Gedächtnis, verbale Ausdrucksfähigkeit oder auch selektive Aufmerksamkeit. Aus den Ergebnissen aller Tests wurde außerdem ein Gesamtindex gebildet, der das Abschneiden über den kompletten Parcours hinweg zusammenfasste.
Die Studienteilnehmer berichteten von einer durchschnittlichen Schlafdauer von 6,4 Stunden pro Nacht im letzten Monat. Die Auswertung aller Daten ergab jedoch eine optimale Schlafdauer von 7,2 bis 7,4 Stunden, je nachdem, welche der getesteten Felder (Denken, Sprechen, Gesamtindex) besonders gewichtet wurden. Das bedeutet, Probanden mit dieser Schlafdauer erzielten die besten Resultate bei den Übungen. Schlafzeiten unter und über diesem Durchschnittswert schlugen sich in schlechteren Testergebnissen nieder. Einzige Ausnahme: Das Kurzzeitgedächtnis blieb von der Schlafdauer völlig unbeeinflusst. Auch waren keine Leistungsunterschiede in Abhängigkeit von Geschlecht oder Alter der Teilnehmer nachweisbar.
Ein verblüffender Nebenbefund
Ein besonderer Befund der Studie lässt indes aufhorchen: Auch wer meist zu wenig schläft, kann durch eine Nacht mit ausreichendem Schlaf seine volle Leistungsfähigkeit wiederherstellen. So erreichten Probanden, die für nur eine Nacht gut eine Stunde länger schliefen als ihre durchschnittlichen 6,4 Stunden, in allen Tests die besten Resultate. Doch hatte dieser Effekt seine Grenzen: Bei Teilnehmern, die annähernd drei Stunden länger schlummerten als sonst, sank die Leistungsfähigkeit hingegen deutlich ab. Bei einer mittleren Schlafdauer von 6,4 Stunden und dem gemessenen Optimum von 7 bis 8 Stunden stellte sich demnach heraus: nähert sich die tatsächliche Schlafmenge auch nur für eine Nacht dem Optimum an, hat dies schon positive Auswirkungen. Gleiches galt nämlich für notorische „Langschläfer“, die ihre Nachtruhe einmalig verkürzten.
Aus ihren Beobachtungen entwickelten die Autoren die folgende Hypothese: Permanenter Nachtschlaf für eine Dauer von lediglich sechseinhalb Stunden führt zu einer ‚Schlafschuld‘, die mit einer Abnahme der kognitiven Fähigkeiten einhergeht. Sobald diese Schuld abgetragen wird, indem der Proband sich – und sei es auch nur für kurze Zeit – der optimalen Schlafdauer annähert, ‚erholt‘ sich der Organismus, und das Gehirn gewinnt seine Leistungsfähigkeit zurück. Wer also chronisch zu wenig schläft, profitiert bereits von einer Nacht, in der er das Soll erfüllt. Umgekehrt hingegen spüren ‚Normalschläfer‘ schon Defizite, wenn sie nur einmal zu wenig Ruhe finden.
Wichtige Entscheidungen besser ‚ausgeschlafen‘ treffen
Aus ihren hypothetischen Überlegungen entwickeln die Autoren eine Konsequenz für das alltägliche Leben, die sie als Empfehlung formulieren: Stehen etwa bedeutende Entscheidungen an, ist es besonders wichtig, in der Nacht zuvor ausreichend zu schlafen. Dieser Tipp erscheint umso wertvoller, als Menschen in verantwortungsvollen Positionen ohnehin oftmals nicht genügend Schlaf bekommen. Kognition und Kommunikationsfähigkeit können dadurch erheblich leiden, und nicht selten stellt sich unter diesen Bedingungen als zusätzliches Handicap auch noch Kopfschmerz ein.
Interessante Parallele aus der Kardiologie
Nicht nur die Gehirnfunktion ist durch die beiden Extreme Schlafmangel und -überschuss beeinträchtigt. In Studien wurde gezeigt, dass sich auch kardio-vaskuläre Risikofaktoren verstärken. So ist bei zu wenig Schlaf die Gefahr, Diabetes, Hypertriglyceridämie oder Bluthochdruck zu entwickeln, erhöht. Schlafzeiten von mehr als zehn Stunden waren bei den untersuchten Probanden ebenfalls mit gestiegenen Triglyceriden und hohem Blutzucker assoziiert. Woher diese Folgen für den Stoffwechsel kommen, ist noch weitgehend unklar. Zumindest für Schlafmangel konnte aber gezeigt werden, dass er zu veränderten Spiegeln bei einigen Hormonen führt, die Appetit, Kalorienzufuhr und Energieverbrauch in unserem Organismus regulieren.
Eine rätselhafte Ausnahme
Bleibt die Frage, warum ausgerechnet unser Kurzzeitgedächtnis, wie oben erwähnt, von alledem unbeeinflusst ist. Dazu kann man sich gedanklich vielleicht auf einen Ausflug in die menschliche Evolution begeben, der freilich vollkommen spekulativ angelegt ist: Möglicherweise hat sich dieser Teil unseres Geistes als besonders wichtig für zentrale Alltagsaufgaben herausgestellt, beispielsweise im Rahmen der Nahrungssuche, der Fluchtbereitschaft oder der Brutpflege. So ließe sich spekulieren, dass er deshalb vom Organismus gewissermaßen von jeglicher Beeinträchtigung abgeschirmt wird und so jederzeit uneingeschränkt zur Verfügung steht. Es könnte sich sozusagen um ein Verhaltensrelikt aus jener Zeit unserer Stammesentwicklung handeln, zu der es weniger auf intellektuelle Hochleistung, sondern vielmehr auf situative Flexibilität ankam – frei nach dem Motto: Wo war noch gleich die Höhle, in die ich notfalls flüchten kann, wenn mir ein Raubtier begegnet? In solchen und ähnlichen Situationen könnte sich der besondere Schutz des Kurzzeitgedächtnisses als lebensrettend bewährt haben, weshalb er bis heute konserviert wurde. Zu untersuchen, ob diese gewagte These einen Funken Wahrscheinlichkeit enthält, wäre gewiss ein eigener, fesselnder Forschungsgegenstand.
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Literatur
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