Winterblues macht anfällig für Kopfschmerz
Winterblues macht anfällig für Kopfschmerz
Wer kennt das nicht: Die Tage sind kurz und düster, nur selten bricht für Momente die Sonne aus den grauen Wolken hervor. Der Winter hat uns und unsere Gemütslage fest im Griff. Am liebsten möchten wir uns wie unsere jagenden und sammelnden Vorfahren für einige Wochen in eine gemütliche Höhle zurückziehen, nur noch schlafen und essen und darauf warten, dass uns Vogelgezwitscher den nahenden Frühling verkündet.
Dieser Zustand, umgangssprachlich oft mit dem Begriff „Winterblues“ belegt, wurde wissenschaftlich erstmals 1984 vom amerikanischen Psychiater Rosenthal am National Institute of Mental Health beschrieben. Er prägte für diese Erscheinung den Ausdruck „Seasonal Affective Disorder“ (SAD), was man mit „Saisonal-affektive Störung“ übersetzen kann. Sie wird auch als „Winterdepression“ bezeichnet. Dies ist allerdings irreführend, weil die Begleitsymptome wie beispielsweise Verlängerung der Schlafdauer, verstärkter Appetit auf Süßigkeiten (Kohlenhydratheißhunger) und daraus folgende Gewichtszunahme denen einer echten, saisonal unabhängigen Depression (Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme und Schlafverkürzung) entgegengesetzt sind.
Probleme durch Vitaminmangel
Bei der SAD handelt es sich keineswegs um eine Erfindung geltungsbedürftiger Wissenschaftler. Vielmehr liegt eine tatsächliche gesundheitliche Beeinträchtigung vor, die sich aus realen Stoffwechselphänomenen erklären lässt. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Vitamin D, genauer gesagt: ein Mangel an diesem. Vitamin D wird vom Körper aus einem Vorläuferstoff gebildet. Der erste Schritt dieses Vorgangs besteht in der Spaltung dieser Substanz, die sich in unseren äußeren Hautschichten vollzieht. Die Energie dafür stellt allein unsere Sonne in Form von ultravioletter (UV-B-) Strahlung bereit, die in die Haut eindringt.
Aufgrund der verminderten Sonneneinstrahlung ist unser Organismus ist in den Wintermonaten nicht in der Lage, das benötigte Vitamin in ausreichender Menge herzustellen. Wissenschaftler nehmen sogar an, dass der moderne Mensch, der ohnehin oft in der Spezies des „Stubenhockers“ daherkommt, generell unter einem Vitamin-D-Mangel leidet. Einschlägige Studien benennen für die Nordhalbkugel der Erde zwischen 50 und 70 Prozent der Bevölkerung als unterversorgt, in Skandinavien sind mehr als 90 Prozent der Bevölkerung betroffen.
Vielfältige Funktionen im Organismus
Wie die meisten seiner „Artgenossen“ entfaltet auch das D-Vitamin seine Wirkung an unterschiedlichen Stellen unseres Stoffwechsels. Zahlreiche Zellen unseres Körpers besitzen sogenannte Rezeptoren, an denen der Stoff andocken und Prozesse in Gang setzen kann. Daher sind die Folgen einer Unterversorgung vielgestaltig. So hat Vitamin D einen entscheidenden Einfluss auf den Calcium- und Phosphat-Stoffwechsel und damit auf den Knochenaufbau und -erhalt. Ein Defizit führt zum Verlust an Knochensubstanz (als Krankheitsbilder „Osteomalazie“ und „Rachitis“ bekannt). Außerdem unterstützt es die ordnungsgemäße Funktion der Muskulatur und die Zellbildung im Immunsystem. Auch die Hormonsynthese in der Schilddrüse und die Bildung von Insulin in der Bauchspeicheldrüse werden von dem Vitamin beeinflusst. Vitamin-D-Mangel wird daher mit einem erhöhten Auftreten von Diabetes Typ II in Verbindung gebracht. Auch auf unsere Stimmungslage wirkt sich das Vitamin aus, ein Defizit beeinträchtigt unser Wohlbefinden.
Vitamin D und Kopfschmerz
Unter den Mangelerscheinungen im Zusammenhang mit Vitamin-D wird häufig ein verstärktes Auftreten von Kopfschmerz beschrieben, und zwar sowohl als Kopfschmerz vom Spannungstyp als auch von Migräne. Diesem Phänomen hat man sich wissenschaftlich jüngst verstärkt gewidmet und versucht, Licht in die Wechselwirkungen zu bringen.
In einem norwegischen Patientenkollektiv von etwa 700 Personen fand man bei fast 60% der Untersuchten eine starke Unterversorgung mit Vitamin D, die mit Gesundheitsbeschwerden in Zusammenhang gebracht wurde, darunter Muskel- und Knochenschmerzen, chronische Erschöpfungszustände und Kopfschmerzen. Auffällig war, dass diejenigen Probanden, die über Kopfschmerzen berichteten, zugleich die niedrigsten Serumwerte für dieses Vitamin aufwiesen.
Auch für den asiatischen Raum liegen Untersuchungen an Migränepatienten vor. Diese ergaben, dass es mehr als drei Vierteln der Betroffenen an dem Vitamin mangelte. Kaum verwunderlich der Befund, wonach das Phänomen in der Winterzeit besonders ausgeprägt und die Zahl der Kopfschmerztage eng mit dem Ausmaß der Unterversorgung korreliert war.
Das gemeinsame Auftreten von muskulo-skelettalen Beschwerden und Kopfschmerzen wird ebenfalls in mehreren Untersuchungen dokumentiert. Sanjay Prakash und Mitarbeiter beschreiben in einer Publikation, dass Patienten mit chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp signifikant weniger Vitamin D im Blut hatten als beschwerdefreie Probanden.
Vorbeugung schafft Abhilfe
Jeder kann selbst den größten Beitrag leisten, um dem Mangel an Vitamin D vorzubeugen. Die naheliegendste Maßnahme ist zugleich die kostengünstigste: Möglichst oft und lange raus an die frische Luft und konsequent jeden Sonnenstrahl nutzen. Auch im Winter gibt es zahlreiche Sonnentage. Warum nicht einmal die Mittagspause um einen Spaziergang verlängern? Sorgt die Sonne für milde Temperaturen, so bietet es sich an, diese Momente zum „Auftanken“ im Freien zu verbringen. Manche Arbeiten, die man ursprünglich für diese Zeit geplant hatte, lassen sich gut in die Abendstunden verschieben. So erleichtert man es seinem Körper, das Vitamindefizit zu verringern.
Gleichwohl muss man einräumen, dass der Mangel an D-Vitamin trotz solcher Anstrengungen oftmals nicht ganz auszugleichen ist. Daher wurde ein unterstützender Ansatz entwickelt, die unzureichende Produktion des Vitamins mithilfe von Tageslichtlampen zu stimulieren. Diese Maßnahme wird inzwischen auch ärztlicherseits als hilfreich erachtet. Eine Leitlinie der Bundesärztekammer empfiehlt die Anwendung von Tageslichtlampen bei SAD und sieht deren Wirksamkeit durch Studien belegt.
Nur im äußersten Notfall, also wenn alle anderen präventiven Maßnahmen keine Wirkung zeigen, kann man Vitamin D medikamentös zuführen. Dies sollte allerdings stets unter sorgfältiger ärztlicher Anleitung und für einen sehr begrenzten Zeitraum erfolgen und kann immer nur nach gewissenhafter Abwägung aller Vor- und Nachteile als Ultima Ratio dienen. So stellt man sicher, dass sich der Griff zum Medikament auf keinen Fall als Standardantwort auf Mangelerscheinungen etabliert.
Idealerweise könnten uns in Zukunft weitere präventive Maßnahmen ein wenig Linderung in den Wochen des „Winterblues“ verschaffen. Der erlösende Moment stellt sich allerdings erst dann ein, wenn die Tage wieder länger werden und die Sonne sich endlich mit Leben spendendem Licht und wohltuender Wärme zeigt und zum „Vitamine tanken“ einlädt. Bis dahin gilt auch im Winter: Gerade Kopfschmerzbetroffene sollten sich möglichst oft draußen an der frischen Luft bewegen und jeden wohltuenden Sonnenstrahl nutzen.
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Literatur
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